
Die eigene sexuelle Prägung als gute Gabe Gottes annehmen
30. November 2019
Wie in biblischer Perspektive Homosexualität zu verstehen sei, fragte auch Professor Jörg Barthel in seinem Referat in Bern. Er kam dabei zu ganz anderen Ergebnissen als sein neutestamentlicher Kollege von der Theologischen Hochschule in Reutlingen.
Professor Dr. Jörg Barthel, der an der Theologischen Hochschule in Reulingen Altes Testament und Biblische Theologie unterrichtet, leitete sein Referat am Studientag der Methodist/innen in Bern mit Beobachtungen zu den aktuellen kirchilche Diskussionen ein. Diese wiesen seiner Überzeugung nach ein doppeltes Defizit auf. Zum einen sei das ein «Verstehensdefizit». Die Arguemtierenden seien sich zu wenig bewusst für die eigene «dicke» Brille, durch die sie die biblischen Aussagen lesen und deuten. Zum anderen konstatierte er ein «Erfahrungsdefizit», bei dem sowohl die aktuellen humanwissenschaftlichen Forschungsergebnisse zu wenig berücksichtig wie auch die Erfahrung homosexueller Personen nicht einbezogen würden. Er plädierte dagegen zur Anwendug des auf John Wesley zurückgeführten Modells des «Quadrilaterals», bei dem vier Kriterien in der Entscheidungsfindung zusammenspielten: die Bibel, die kirchliche Tradition, die Vernunft und die Erfahrung.
Bibelstellen meinen etwas anderes
Die biblischen Aussagen könnten nach der Überzeugung Barthels «nicht unbesehen auf heute gelebte Formen gleichgeschlechtlicher Liebe bezogen werden», aus drei Gründen: Homosexualität sei eine im 19. Jahrhundert entstande Vorstellung. Die Bibelstellen hätten lediglich einzelne homosexuelle Akte, nicht aber eine sexuelle Orientierung im Blick. Sie setzten ausserdem eine strikt patriarchalische Zurodnung der Geschlechter voraus. Deshalb liege zudem eine liebevolle partnerschaftliche Beziehung zwischen Gleichberechtigten «ausserhalb des Denkhorizonts der biblischen Aussagen».
Biblische Leitlinien entdecken
Gewinnen liessen sich aus dem biblischen Zeugnis stattdessen «einige Leitlinien für den Umgang mit homosexuell empfindenden Menschen und für eine verantwortlich gelebte homosexuelle Partnerschaft», sagte Barthel. Das Gott der Schöpfer aller Menschen sei, lade ein, die eigene sexuelle Prägung als gute Gabe Gottes anzunehmen. Im Blick auf Gen 1,26f. und im Widerspruch zu seinem Kollegen Roland Gebauer betonte Barthel, dass die Aussagen dort, dass Gott den Menschen «männlich und weiblich» geschaffen habe, Varianten eben nicht ausschliesse. Die Polarität ziele auf die Fortpflanzungsfähigkeit des Manschen. Doch gingen damit doch auch diejenigen, die «der Aufforderung zur Fortpflanzung unfreiwillig oder freiwillig nicht» nachkommen «der Würde als ‹Bild Gottes›» nicht verlustig. Warum sollte das nicht auch für diejenigen gelten, deren sexuelle und erotische Orientierung sich auf das eigene Geschlecht richtet?
Biblisch relevant sei ausserdem Jesu Umgang mit Menschen am Rande der Gesellschaft. Das lade dazu ein, die eigenen Urteile über «Normalität und Natürlichkeit immer wieder neu zu überprüfen». Der manchmal zu hörenden Befürchtung: «Wenn wir hier nachgeben wird der Beliebigkeit Tor und Tür geöffnet und es wird alles möglich sein – am Ende vielleicht sogar Pädophilie!», ielt Barthel entgegen: Das sei seine völlige Missdeutung dessen, was biblisch als «Freiheit vom Gesetz» beschrieben werde: «Freiheit vom Gesetz führt doch nicht in die Beliebigkeit», sagte Barthel, «sondern in die Nachfolge Jesu und also in eine neue Verbindlichkeit!»
Jenseits von Verachtung und Verurteilung
Barthel plädierte dafür, in der Kirche einen respektvoll offenen Umgang miteinander zu pflegen, bei dem jene, die eine offener Haltung vertreten, die anderen nicht verachteten. Und jene, die Bedenken tragen, sollten die anderen nicht verurteilen oder ihnen den Glauben absprechen.
S.F.
Beitragsbild: EMK Schweiz / sf
Referat von Jörg Barthel
(Es gilt das gesprochene Wort)