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«Konflikte zu haben, ist nicht an sich schlecht»

14. Januar 2020

 Was tun, wenn es «brodelt» in Kirchgemeinden? Wegschauen? Beschwichtigen? Oder «richtig durchgreifen»? Natascha Bertschinger begleitet Gruppen in konfliktreichen Situationen. Wie geht sie um mit den Konfliktparteien? Weshalb kommt es überhaupt zu Konflikten? Und was unterscheidet Konflikte in der Kirche von Konflikten in anderen gesellschaftlichen Kontexten?

Innerhalb der weltweiten United Methodist Church, zu der auch die Methodist/innen in der Schweiz gehören, brodelt es, seit Ende Februar die Generalkonferenz, das höchste legislative Gremium der Kirche, entschieden hat, dass praktizierende, homosexuelle Pfarrpersonen weiterhin nicht ordiniert und gleichgeschlechtlich lebende Paare nicht getraut werden dürfen. Auch erhalten solche Paare keinen Segen. Neu sollten zusätzlich Sanktionen für Pfarrpersonen gegen davon abweichendes Verhalten eingeführt werden. Auch in manchen methodistischen Kirchgemeinden in der Schweiz kommt es seither vermehrt zu Auseinandersetzungen. Dann kann zum Beispiel Natascha Bertschinger beigezogen werden. Sie begleitet einige dieser Gespräche im Auftrag des Bereichs GemeindeEntwicklung der Schweizer Methodist/innen. Auch sonst hat sie in ihrer Arbeit als Beraterin immer wieder mit konfliktreichen Themen und Situationen zu tun.

Christliche Konflikte?

Ob es denn etwas gebe, das Konflikte im kirchlichen Bereich unterscheide von solchen in den anderen Situationen, in denen sie tätig ist, frage ich Natascha Bertschinger. «In christlichen Kreisen schlucken Personen eher den Teil, der sie stresst». Das liege an bestimmten Idealen: «Man muss nett und freundlich miteinander sein.» Warum? – «Weil man überzeugt ist, dass Gott das will. Er möchte Liebe, Versöhnung, dass wir freundlich miteinander umgehen und jederzeit vergeben.» – Das Thema Vergebung scheint missverständlich. Wir sprechen länger darüber, streifen viele Facetten: Wie wichtig der Faktor Zeit ist. Wie perfide da manches Mal ein Druck aufgebaut wird, sodass Menschen Schritte tun, zu denen sie noch gar nicht bereit sind. «Vergebung einfordern, ist sowieso problematisch.» Denn das bestätige versteckt die Konfliktdynamik.

Konfliktgefälle

Was kennzeichnet einen Konflikt? «Ein Konflikt ist eine Meinungsverschiedenheit, die man nicht auf der Sachebene austragen kann, weil man sich selbst in den Weg kommt: Weil einem die eigenen Gefühle in den Weg kommen, weil man so grundverschiedener Meinung ist, dass man sich angegriffen fühlt, oder weil man etwas von sich selbst im anderen widerspiegelt.» Vor allem gehöre dazu ein «Gefälle», ein «Oben» und «Unten». «Konflikte entstehen nie dort, wo man sich auf einer Ebene miteinander fühlt», erklärt Natascha. So lange man sich gleichwertig fühle, könne man diskutieren. «Wenn es mich aber betrifft und ich das Gefühl habe, dich umstimmen zu müssen, oder ich das Gefühl habe, dir ohnehin immer unterlegen zu sein – an dieser Stelle kippt die Sache.» Das müsse gar nicht «real» der Fall sein, könne sich durchaus mehrheitlich in der Wahrnehmung einzelner so abspielen.

Ebenen unterscheiden

Eine wichtige Aufgabe für sie, wenn sie solche Konfliktgespräche moderiert, sei es darum, die Sach- von der Gefühlsebene zu unterscheiden. «In Konflikten muss man quasi immer die Situationen auseinander dividieren.» Das Thema bei ihren aktuellen Beratungsgesprächen sei bei vielen klar: Es geht um die Einschätzung der Homosexualität. Aber das löse eine ganze Menge von anderen Fragen mit aus: «Es löst aus: ‹Die in Zürich treffen immer solche Entscheidungen…›, oder: ‹In der Bibel steht doch… Ich bin doch richtig! Bin ich überhaupt richtig?›, oder: ‹Unsere Kirche droht sich zu spalten – und ich bin doch mit dieser Kirche verbunden›.» Diese und andere Faktoren kämen mit ins Spiel. «Die muss man auseinander nehmen und benennen: Welcher Teil ist bei mir? Welcher gehört zum Thema?»

Regeln für Gespräche

Bei den Abenden in den Gemeinden leitet Natascha die Teilnehmer/innen an, die anderen Themen aus dem aktuellen Konflikt herauszulösen. «Im aktuellen Konflikt geht es nur um das jetzt aktuelle Thema. Hier muss man zur Sache zurückfinden!» Alles andere seien neue Themenfelder, die man unabhängig davon anschauen müsse.
Für das Gespräch legt sie Regeln fest: einander zuhören; einander ausreden lassen; die eigenen Aussagen als Ich-Botschaften formulieren; noch einmal wiedergeben, was man gehört hat; das Gute ansprechen und nicht nur das Schlechte und das eigentlich im Verhältnis 5:1! «Das durchzusetzen braucht schon Aufmerksamkeit und Einsatz von der Gesprächsleitung», sagt Natascha. Und das funktioniere weniger gut mit Personen, die keine Wahrnehmung für sich selbst und den eigenen Anteil an einem Konflikt haben. «Umgekehrt funktioniert es hingegen auch mit Personen, die das sonst gar nicht gewöhnt sind.»

Vom Konflikt zur Lösung

Wenn Anfragen zu einem solchen Abend kommen, dann klärt Natascha zuerst einmal ab, ob wirklich «die ganze Gemeinde» dabei sein muss. «Ideal sind Gruppengrössen bis etwa 12 Personen. Bei grösseren Gruppen gibt es oft viele Zuhörer/innen, die gar nicht betroffen sind.» Am Abend selbst versuche sie den Leuten klar zu machen: «Ihr seid betroffen. Das löst Trauer, Angst, Schmerz und Ärger aus.» Dann lädt sie ein, möglichst klar die Fakten zu benennen, die schwierig sind, etwa: «Ich kann nicht mit dem umgehen, denn ich habe einen Bruder oder Kollegen, die betroffen sind.» Oder: «Mir bereitet die ganze Diskussion grosse Mühe, weil mein Bibelverständnis ganz anders ist.» Die Aussagen hält sie schriftlich fest. Dann versucht sie mit der Gruppe zu erarbeiten, wie Lösungsansätze aussehen könnten. «Die sind meistens gar nicht so kompliziert. Oft reicht schon, dass einmal ausgesprochen wurde: ‹Aus diesem Grund verletzt du mich in dieser Thematik.›»

Hoffnungsvolles Zeichen

«Konflikte zu haben, ist nicht an sich schlecht», ist Natascha überzeugt. «Es gibt Situationen, bei denen ich mich nicht ernst genommen fühle – in die Ecke gedrängt und so weiter. Dann haben wir einen Konflikt.» Wenn das nicht ernst genommen werde, beginne es zu brodeln. Schädlich seien Konflikte, die nicht angesprochen werden. «Das zerreisst Gemeinden.» In manchen Gemeinden meint sie das beobachtet zu haben: «An der aktuellen Situation kommen Konflikte zutage, die seit vielen Jahren schwelen und ‹brav christlich› unter den Teppich gekehrt wurden.» Dass verschiedene Gemeinden oder Pfarrpersonen auf sie oder andere zukommen, um in den aktuellen Auseinandersetzungen Unterstützung zu erhalten, wertet sie darum als hoffnungsvolles Zeichen. Und sie findet es spannend, was alles durch einen solchen Prozess in Bewegung kommen kann.

Sigmar Friedrich
Beitragsbild: Craig Adderley, pexels.com

Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 1-2/2020 von «Kirche und Welt»

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