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Arabische und deutschsprachige Gemeinde in Aarau feiern gemeinsam

Ein Zuhause für arabische Christen in Aarau

11. März 2020

In der Arabischen Gemeinde in Aarau treffen sich regelmässig rund 40 Kinder und Erwachsene. Wenn die deutschsprachigen Methodist/innen in Aarau Gottesdienst gefeiert haben, dann füllen sie die Räume noch einmal mit Leben. Der Gottesdienst in arabischer Sprache findet alle 14 Tage statt. Personen aus Syrien, dem Irak, Jordanien oder dem Libanon erleben hier ein Stück Zuhause.

Die Arabische Gemeinde verändert sich stetig. Einige von den Besucher/innen sind als Asylsuchende in die Schweiz gekommen sind. Das führt dazu, dass sie manches Mal den Wohnort wechseln müssen. Dass Personen nicht mehr kommen, hat aber auch noch andere Gründe. «Kaum jemand in unserer Gemeinde kommt aus einer evangelischen Kirche», erzählt Anna Shammas. Darum kann es auch geschehen, dass Besucher/innen mit der Art und Weise, wie hier Gottesdienst gefeiert wird, nicht einverstanden sind – und darum wieder weg bleiben.

Ein Zuhause finden

Immer wieder finden neue Leute zur Gemeinde, weil sie mit Personen aus der Gemeinde in Kontakt kommen. Hier einen Ort zu finden, an dem sie arabisch denken, sprechen, beten und singen können, sei für sie ein grosses Geschenk. Es vermittle das Gefühl, hier zuhause zu sein. «Als Migrant muss man sich überall anpassen. In die Arabische Gemeinde aber darf man einfach kommen», bringt Anna Shammas es auf den Punkt.

Dennoch stellen sich auch hier Erfahrungen des Fremdseins ein. «Es gibt immer am Anfang einen Veränderungsprozess», weiss Anna. Dazu gehöre zum Beispiel die Frage, ob Personen mit einem katholischen oder orthodoxen kirchlichen Hintergrund sich einlassen können auf die methodistische Liturgie und Theologie in der Arabischen Gemeinde.

„Wir reden über das, was uns verbindet, und nicht über das, was uns trennt.”

Die Vielfalt ist herausfordernd. Wie gehen die Verantwortlichen damit um? Anna erklärt: «Wir haben eine interne Regel, die besagt: Wir reden über das, was uns verbindet, und nicht über das, was uns trennt. Jesus und seine Liebe sollen immer im Fokus stehen.» Von allen werde erwartet, dass sie sich gegenseitig respektieren. «Ich darf erzählen, was ich glaube. Aber ich darf den anderen nicht verletzen.»

Wurzeln schlagen

Die arabisch-sprechende Gemeinde in Aarau ist in verschiedener Weise mit der deutschsprachigen Gemeinde dort verbunden. Im Pfarrteam arbeiten die Verantwortlichen zusammen. «Wir haben gemeinsame Anlässe», erzählt Anna. «Die werden von beiden Seiten vorbereitet.» Diese Anlässe würden sehr geschätzt.

Für die Personen in der Arabischen Gemeinde sei dieses Miteinander nicht nur eine Chance, sondern eine Notwendigkeit. «Denn wie kann man erwarten, in einem fremden Land Wurzeln zu schlagen, wenn man die Wurzeln nicht in die Erde steckt?» Ein Überleben sei auf Dauer nur mit Wurzeln möglich! «Die Chance liegt darin, dass Migranten hier einen geschützten Rahmen haben, in dem sie auch ‹Fehler› machen können.» «Fehler» sei vielleicht das falsche Wort, präzisiert Anna, denn die Migrant/innen verhielten sich entsprechend ihrer kulturellen Prägung. Und da gebe es halt Unterschiede zur Schweizer Kultur. «Ich habe aber die Erwartung an uns alle, dass wir grosse Geduld, Liebe und Vergebung füreinander haben.»

Und das funktioniert? «Es gibt schon immer wieder Situationen, in denen man Zusammenhänge erklären muss – auf beiden Seiten», sagt Anna zögerlich. «Aber», so fügt sie mit einem Lächeln an, «es gibt unter uns allen eine grosse Menge an methodistischer Gnade.»

In Gottes Kultur hineinwachsen

Welche Chance liegt für die deutschsprachige Gemeinde in diesem Miteinander? – «Wir können nicht Gemeinde sein, ohne die Gesellschaft zu spiegeln. Und zu unserer Gesellschaft gehören die Migranten», sagt Anna. Wenn in einer Gemeinde nur eine bestimmte Schicht vertreten sei, dann stimme etwas nicht. Das Miteinander sei eine Bereicherung und eine Chance zum Wachstum. «Wenn ich immer in meiner eigenen Kultur lebe, habe ich keinen Vergleich, der mir eine Entwicklung in Gottes Kultur hinein ermöglicht», ist Anna überzeugt. «Wenn ich andere Kulturen bei mir habe, kann ich Neues entdecken.» Das ermögliche ein Aha-Erlebnis: «Aha, da ist etwas vielleicht ganz anders, als ich es immer gelebt habe.» Die Vielfalt der Kulturen sei eine Herausforderung, die sehr viel Aufmerksamkeit und Engagement benötige. Zugleich sei sie eine grosse Chance für Wachstumsprozesse.

Inklusion leben

Natürlich gebe es auch Schwierigkeiten. Sie entstünden unter anderem dann, wenn man ein gemeinsames Ziel hat. Der Weg dahin sei sehr unterschiedlich. Anna verdeutlicht an einem Beispiel: «Wenn wir miteinander ein Mittagessen haben wollen: Der Weg zu diesem Ziel sieht unterschiedlich aus.

„Irgendwann ist es notwendig, dass wir auf Augenhöhe miteinander unterwegs sind!”

Das ist manchmal frustrierend, wenn etwa die Personen der Arabischen Gemeinde in der Küche während des Kochens ein riesiges Chaos produzieren. Am Ende werden sie alles wieder putzen! Aber wie sie arbeiten – das ist eben ganz anders als bei den Leuten aus der deutschsprachigen Gemeinde.» Dass solche Planungs- und Umsetzungsphasen sehr unterschiedlich angegangen werden, bedeute für beide Seiten, dass man bestimmte Vorstellungen oder Erwartungen loslassen müsse.

Die grundsätzliche Herausforderung beschreibt Anna so: «Wie schaffen wir es auf Dauer, dass wir nicht ‹Integration›, sondern ‹Inklusion› leben?» Nicht nur in der Küche werde von Migrant/innen erwartet, dass sie lernen, sich anpassen und einfügen. «Aber irgendwann ist es notwendig, dass wir auf Augenhöhe miteinander unterwegs sind!» Das sei auch darum nicht einfach, weil die Rahmenbedingungen das nicht einfach begünstigen.

Ein Satz, der ihr vor längerer Zeit einmal gesagt worden ist, ermutigt Anna immer noch. «Ja», hatte ihr jemand gesagt, «ja, ihr seid eine Herausforderung. Doch wir wollen diese Herausforderung gerne annehmen.» Und tatsächlich, sie sei beeindruckt von der Bereitschaft auf beiden Seiten, miteinander unterwegs zu sein.

S.F.
Beitragsbild: zVg

Der Beitrag erschien zuerst in «Kirche und Welt» 3/2020

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Anna Shammas

… arbeitet im Bereich GemeindeEntwicklung der Methodist/innen in der Schweiz und ist zusammen mit ihrem Mann Rami Ziadeh als Pfarrperson in der Arabischen Gemeinde in Aarau tätig.