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Wo Menschenwürde mit Füssen getreten wird

10. April 2020

Wir alle werden irgendwo Opfer der Coronakrise, sind in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Aber ganz besonders unter der Situation zu leiden haben unsere Alten. Es stört mich massiv, wenn wir die Isolation der Senior/innen und insbesondere der Altersheime als Akt der Solidarität oder gar der Nächstenliebe bezeichnen. Das ist Heuchelei.

Ich gebe zu, wir haben in gewisser Weise nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Es ist letztlich eine Güterabwägung. Trotzdem meine ich, wird hier die Menschenwürde mit Füssen getreten. Es ist reine Willkür, schlicht menschenverachtend, wie wir heute mit der alten Generation umgehen. Lassen sie mich dass erklären.

Mein Vater ist 95, sieht und hört schlecht und leidet an Alzheimer. Bei Besuchen hat er mich bis jetzt immer erkannt. Nur ist ein Kontakt per Telefon oder Videobotschaft aus oben genannten Gründen nicht möglich. Er hat eine Patientenverfügung, im Falle einer Erkrankung würde er kein Spitalbett mehr beanspruchen. Das Recht auf Besuche ist darin natürlich nicht festgehalten. Nun ist zu befürchten, dass eine Lockerung des Besuchsrechts weit hinten auf der Prioritätenliste steht. Bei einem normalen Verlauf der Pandemie dauert das viele Monate, vielleicht sogar Jahre. Wo bleibt da Respekt, Achtung, Menschlichkeit gegenüber den Menschen, die auf der letzten Meile unseres irdischen Daseins sind?

In den letzten Jahren haben wir in der Schweiz viel aufgearbeitet, was Verdingkindern an Unrecht getan wurde. Sie wurden in jungen Jahren Opfer behördlicher Willkür. Und nun gibt es solche, die werden jetzt wieder Opfer behördlicher Willkür, dürfen von ihren Familienangehörigen nicht mehr besucht werden. Und Behörden und Kirchen schauen weg, wie damals. Zum Wohle der Gesellschaft. Ich finde das zutiefst verabscheuungswürdig.

Das Recht auf ein würdiges Sterben steht bei mir oben auf der Prioritätenliste. Dafür würde ich ein paar tausend Pandemietote mehr in Kauf nehmen. Sterben müssen wir ja alle. Wichtig ist doch, dass die Zeit wo wir Leben, lebenswert ist.

Ich kann verstehen, wenn einige Leser meine Meinung völlig daneben finden. Aber ich kann einfach nicht Schweigen zu dem was ich als Unrecht empfinde. «Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen. Auf dass wir klug werden», heisst es in einem Psalmwort. Vielleicht ist es das, was wir in Pandemiezeiten lernen sollten.

Hansjürg Zurbuchen, Opfershofen
Beitragsbild: Manfred Antranias Zimmer, Pixabay.com

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