«Viele sind überzeugt, dass wir gegen Rassismus irgendwie immun sind.»
18. September 2020
Das Gebot der Nächstenliebe gehört zum Zentrum des christlichen Glaubens. Wie ist es dann möglich, dass Christ/innen ihren Mitmenschen Liebe und grundlegende Würde verweigern? – Im vierten online stattfindenden Podiumsgespräch der Methodist/innen in den USA zu Fragen des Rassismus haben drei Theolog/innen die Hintergründe für die enge Verbindung von Rassismus und christlichem Glauben diskutiert.
Am 16. September führten die Methodist/innen in den USA eine weiteres Podiumsgespräch zu Fragen des Rassismus durch. Es war Teil einer Reihe ähnlicher Veranstaltungen, die zur Diskussion über den Abbau des Rassismus abgehalten wurden.
Neben der Moderatorin Erin Hawkins nahmen Mai-Anh Le Tran, Edgardo Colón-Emeric und Willie James Jennings an dem live gestreamten Gespräch teil. Eine Stunde lang rangen die Podiumsteilnehmer/innen mit der Frage, warum Rassismus in den USA, wo das Christentum der vorherrschende Glaube ist, nach wie vor an der Tagesordnung ist.
Rassismus «überhaupt kein Problem»?
Am Tag vor dem Panel hatte Barna, eine us-amerikanische Forschungsorganisation, die vornehmlich den Zusammenhang von Glauben und Kultur untersucht, neue Forschungsergebnisse zu Rassismus und Glaube veröffentlicht. Demnach sagt knapp ein Drittel der «praktizierenden Christ/innen» in den USA, sie seien «wenig motiviert» oder «überhaupt nicht motiviert», gegen Rassenungerechtigkeit vorzugehen. Der Prozentsatz sei gegenüber dem Vorjahr sogar markant angestiegen. Zugleich gaben 20% der Befragten an, dass Rassismus in den USA ihrer Meinung nach «überhaupt kein» Problem sei.
Ein Problem der «anderen»
Solche Daten haben die Theolog/innen beim Podium nicht überrascht. «Es herrscht die Annahme, dass Rassismus irgendwie von sogenannt schlechten Menschen praktiziert werde. Viele sind überzeugt, dass wir Christinnen und Christen dagegen irgendwie immun sind», sagte Tran, Pfarrerin und Professorin am United Methodist Garrett-Evangelical Theological Seminary in Evanston, Illinois. Unberücksichtigt bleibe dabei der strukturelle Rassismus, der die us-amerikanische Gesellschaft präge. «Dieser dem System inhärente Rassismus ist nichts, was wir bewusst anderen antun», sagte sie. «Wir nehmen einfach an, dass die Welt so ist.»
Christlicher Egozentrismus
Viele Weisse fühlten sich angegriffen dadurch, dass in der Gesellschaft jetzt stark über Kolonialismus und Rassismus disktuiert werde, räumte Willie James Jennings, Professor an der Yale Divinity School und ordinierter Baptistenprediger, ein. Es gehe jedoch nicht darum die Weissen schlecht zu machen. Vielmehr müssten sie daran erinnert werden, dass sie nicht das Zentrum des Universums sind.
«Sehr viele Menschen, vor allem Christinnen und Christen, haben eine Welt geformt, in der sich alles um sie dreht», sagte Jennings. Dass sich so viele Christ/innen sehr schwer tun damit, über Rassenprobleme in der Welt und über die Vielfalt nachzudenken, die Gottes Schöpfung kennzeichnet, habe hier seine tiefere Ursache. «Der Grund dafür ist, dass sie so mit einer Realität konfrontiert werden, in der sie nicht im Mittelpunkt stehen.»
An der Geschichte Gottes teilnehmen
Auch die Bibel würden Christ/innen so lesen, als ob es dabei zuerst um sie ginge, als ob die Bibel ihr Buch sei und von ihrer Geschichte handle. Eine Möglichkeit, dem Rassismus zu begegnen, bestehe darin, dass Christ/innen die Bibel mit neuen Augen betrachten. «Wir sind ein Teil der Geschichte Gottes. Es ist wichtig, sich in dieser Geschichte zu verorten», sagte Jennings. In einer Geschichte freilich, «die nicht einfach ‹unsere› Geschichte ist.» Es sei vielmehr eben die Geschichte Gottes, die Christ/innen nicht kontrollieren. Eine Geschichte, bei der Christ/innen lernen müssten (und könnten) von den Rändern her zu denken. «Richtet euer Handeln an dieser Geschichte aus – und an keiner anderen», forderte Jennings auf.
S.F. / Quelle: Heather Hahn, UMNS
Beitragsbild: UMNS
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