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Briefumschlag

Wahrheitssuche ist das gerade nicht

5. Oktober 2020

Zu: KuW 10/2020, S. 10f. «Was ist denn schon ‹Wahrheit›?»

Am Essay des promovierten Theologen Christoph Schluep zum Thema Wahrheit fällt vor allem eines auf: wie unwahr seine zentralen Aussagen sind. «Wahrheit wird in der Bibel immer personal gedacht», anders als bei Philosophie oder Naturwissenschaften – wirklich? Der Faktencheck: das leere Grab des auferstandenen Jesus tangiert physikalische Wahrheit, die Menge der Zeugen (1 Kor 15,5-7) historische Wahrheit, der gebratenen Fisch essende Auferstandene (Lk 24, 39-43) betont höchstselbst die biologisch-chemische Wahrheit seiner neuen Existenz gegenüber seinen ungläubig staunenden Freunden! Allesamt unpersönlich, im Prinzip messbar und überprüfbar! «Wahrheit ist nicht einfach, Wahrheit ereignet sich, und zwar im Glauben» – wirklich? Der Faktencheck: Der an Jesus ungläubige Saulus wurde durch Jesus vor Damaskus vom Pferd geworfen, der Glaube des späteren Paulus folgte also kausal dem Ereignis, und derselbe Jesus wird von der Bibel als präexistent vor Anfang der Schöpfung dargestellt, eine Ist-Wahrheit also. «Dieses theologische Wahrheitsverständnis hat Konsequenzen», schreibt Schluep anschliessend – ja, und zwar furchtbare: Wahrheitssucher, die sich der komplexen Wirklichkeit stellen wollen, wird der Zugang zum Himmelreich von denen verstellt, die selber nicht bereit sind, in Bescheidenheit das Thema Wahrheit als interdisziplinär und alle Wahrheitszugänge als relevant zu betrachten. «Was ist denn schon ‹Theologie›?» wäre denn auch ein passenderer Titel dieses die Wahrheit gerade nicht suchenden Essays gewesen.

Dr. Markus Walther, Zürich

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