
«Das war für mich kein Anliegen, das ich einfordern musste!»
13. Februar 2021
Sie gehörte zu den ersten Frauen, die 1970 im Kanton Zürich in politische Ämter gewählt wurden. Als Frauenrechtlerin hat sich Erika Welti dennoch nie verstanden. Gleichberechtigung sei für sie ganz fraglos und selbstverständlich gewesen, sagt sie.
Im Jahr 1969 wurde durch eine Abstimmung den Frauen des Kantons Zürich auf kommunaler Ebene das Stimmrecht ermöglicht. Bereits bei den Wahlen zum Zürcher Gemeinderat 1970 stand der Name von Erika Welti dann auf der Liste der EVP an zweiter Stelle. Sie rückte schon zwei Monate nach der Wahl nach, da ihr Vorgänger aus gesundheitlichen Gründen sein Amt aufgeben musste.
Rathaus wurde umgebaut
Verändert hat sich manches durch die Wahl – auch baulich: «Bevor die Frauen im altehrwürdigen Rathaus Einzug halten konnten, mussten erst einmal Damentoiletten eingebaut werden», erinnert sich Erika Welti. In den politischen Diskussionen seien die Frauen objektiv behandelt worden. «Ich bin zum Beispiel nie verbal aktiv angegriffen worden, obwohl meine Meinung nicht einfach der Mehrheit entsprach.»
Selbstverständlich zugesagt
«In einer grossen Selbstverständlichkeit» habe sich Erika Welti damals als Kandidatin zur Verfügung gestellt, sagt Heiner Studer, der lange Jahre die EVP präsidierte, über seine Parteikollegin. «Erika ist der Typ Mensch gewesen, der einfach hingestanden ist. So habe ich sie erlebt.» Erika Welti formuliert es so: «Ich bin gefragt worden und habe selbstverständlich zugesagt.»
Sie sei nie eine Frauenrechtlerin gewesen, die glaubte, Frauenrechte einfordern zu müssen, sage Erika Welti über sich. «Für mich war Gleichberechtigung immer schon selbstverständlich.»
Geprägt durch ein «christliches Familienbild»
Dass Männer und Frauen selbstverständlich gleiche Rechte haben, basierte auf Erfahrungen in zwei zentralen Lebensfeldern. Zum einen lernte sie das in ihrer Familie. Was ihr dort im Zusammenleben vermittelt wurde, nennt Welti «das christliche Familienbild». Da heisse es: «Ihr seid Brüder und Schwestern» – und nicht: «Ihr habt einen in der Familie, der befiehlt».
Das galt in allen Bereichen. Etwa wenn es um die Arbeit ging: «Bei uns hat es immer so viel zu tun gegeben, dass es für alle ‹gereicht› hat», sagt Welti lachend. Doch auch bei den Entscheidungen oder dem Umgang mit dem Eigentum galt Gleichberechtigung. Alles habe allen gehört. «Bei uns hatte nicht der Vater den Schüblig auf dem Tisch – und die Kinder nicht!»
Auch Studer, der mit der Familie befreundet ist, hat das so in Erinnerung. «Sie hat in der Familie bereits erlebt: Töchter und Söhne sind gleichwertig. In diesem Umfeld hat sie nie um Gleichwertigkeit kämpfen müssen.»
Selbstverständliche Gleichberechtigung in der Kirche
Ebenso selbstverständlich hat Welti in der Methodistenkirche erlebt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Sie erzählt zum Beispiel von Erfahrungen aus ihrer Jugendzeit. Ferdinand Sigg, der später Bischof der Methodistenkirche wurde, war damals Jugendleiter in der methodistischen Kirchgemeinde, zu der Welti gehörte. Auch er habe sie in dieser Weise geprägt. «Ich konnte mich und meine Anliegen in dieser Arbeit des ‹Jugendbundes› ganz selbstverständlich einbringen.» Da sei zwischen den Geschlechtern kein Unterschied gemacht worden. Eine Zeitlang war sie auch Präsidentin des Jugendbundes in ihrer Kirchgemeinde.
Während vieler Jahre hat Welti in der Methodistenkirche in teils sehr verantwortungsvollen Aufgaben mitgearbeitet. «Ich habe in der Kirche nie die Erfahrung gemacht, dass ich als Frau weniger zu sagen hatte», sagt sie. Im Gegenteil, die Methodistenkirche habe schon früh und bewusst den Frauen Verantwortung übertragen – zu einer Zeit, als das gesellschaftlich durchaus noch kritisch beurteilt wurde. «Da bin ich nicht nur von unserer Familie, sondern auch von der Gemeinde und Kirche geprägt», ist sie überzeugt. «Beim Abstimmungskampf ums Frauenstimmrecht habe ich mich nicht besonders engagiert, da es für mich als selbstverständlich galt – wohl wegen der Erfahrungen in unsrer Kirche –, dass die Abstimmenden nun wissen müssten, dass die Zeit dafür reif war.»
Weil sie diese Erfahrung in Familie und Kirche gemacht hat, war und ist für Welti Gleichberichtigung selbstverständlich. Sie habe Gleichberechtigung nie eingefordert. «Das war für mich kein Anliegen, das ich einfordern musste! Ich habe ganz normal so reagiert: als Gleichberechtigte.»
S.F.
Beitragsbild: EMK Schweiz / S.F.
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Zur Person
Erika Welti (Jg. 1936) war von 1970-1987 Gemeinderätin in Zürich, von 1987-1991 Kantonsrätin und von 2000-2005 im Verfassungsrat. Sie leitete seit 1984 die Schule für Haushalt und Lebensgestaltung, später alle Angebote der Stadt Zürich, die nach der Schulpflicht geführt werden. In der Methodistenkirche arbeitete sie während mehrerer Jahre in vielen Bereichen mit — unter anderem im «Kirchenvorstand» und während vieler Jahre im Bereich der Suchtprävention.