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Briefumschlag

Fehlentwicklungen korrigieren

4. November 2021

Zu: Kirche und Welt 6/2021, S.4, 🔗Ihre Meinung

Wenn immer ich höre, dass in der Kirche vermehrt wieder die traditionelle freikirchliche Sexualethik eingeführt werden soll, schrillen bei mir alle Alarmglocken. Diese leib- und lustfeindliche Sexualmoral trägt dazu bei, dass Gemeinden Menschen, die nicht dem klassischen Familienbild entsprechen, ausgrenzen. Ich als «kirchengeschädigter» Schwuler hatte «dank» dem Engagement in der Kirche meine Homosexualität bis zum Gehtnichtmehr verdrängt. Wenn einen das Coming-out einholt, will man noch lange nicht seinen christlichen Hintergrund und seine Glaubenserfahrungen über den Haufen werfen.

Anstatt moralische Regeln in der Kirche aufzustellen, die um sieben Ecken aus der Bibel herum verdreht, verfälscht und eigeninterpretiert wurden, muss man sich viel mehr im Herzen fragen: Entspricht diese Moral wirklich Gottes Willen? Was sagen andere Bibelstellen dazu? Wie ist Jesus mit den Menschen umgegangen? Möchte Gott wirklich, dass Menschen sich in der Gemeinde nicht mehr wohl und integriert fühlen? Ist es wirklich nach Gottes Wunsch, dass Menschen durch die Kirchen diskriminiert, verurteilt, zur Umpolung genötigt und ausgegrenzt werden? Dadurch haben sich viele Christen enttäuscht vom Glauben und von Gott abgewendet.

Die christliche Kirche ist verantwortlich für die Verfolgung und Ächtung von Homosexuellen über Jahrhunderte hinweg. Sie trägt die Mitverantwortung für ungezählte Hinrichtungen, Selbstmorde und menschliche Tragödien. Ich fordere die Kirche auf, Fehlentwicklungen der Kirchengeschichte zu korrigieren und die Menschen, denen sie Unrecht getan hat, um Entschuldigung zu bitten.

Dass in der Schöpfungsgeschichte alles mit Mann und Frau begonnen hat, ergibt für mich noch lange keinen Grund, alle anderen Beziehungsformen abzulehnen.

Dank der im Leserbrief kritisierten «Desorientierung» haben sich viele Menschen von den Fesseln, die ihnen die Kirche angelegt hat, lösen können und leben heute in Freiheit, Würde und Zufriedenheit. Umso mehr hat sich für sie wieder ein Zugang zu Gott eröffnet und ihr Leben wird reich gesegnet.

Marcel Schmidt, Zürich

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