Bezirk
Martin Wieland (l.) und Chris Forster vor dem Eingang der Methodistenkirche in Frauenfeld

«Ich bin stolz darauf, dass wir im ‹Kirchen­kuchen› als sehr inno­vativ gelten»

19. November 2021

Seit dem 1. November ist ein kirchlicher Pionier für die Methodisten in Frauenfeld an der Arbeit. Das Projekt «erbt» die kirchlichen Gebäude der Methodistenkirche dort. Entstehen soll eine ziemlich andere Kirche. Chris Forster begleitet das Projekt.

Chris, die Arbeit der Methodistenkirche in Frauenfeld wurde eingestellt. Nun ist da doch wieder etwas los? Gibt es dort also früher oder später wieder Gottesdienste?

Das ist immer die Herausforderung: Wenn irgendwo eine Arbeit neu startet, dann haben die Leute das Gefühl, dass es da früher oder später wieder klassische Gottesdienste geben werde. Möglich ist das. Doch im Grundsatz ist etwas ganz anderes geplant. Der Ansatz ist, dass wir dort genau hinschauen und fragen: Was brauchen eigentlich die Leute in Frauenfeld?

Wir möchten zuhören und herausfinden, wo wir helfen oder unterstützen können– zum Beispiel, indem wir die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Letztlich geht es darum, Menschen zu begegnen, Vertrauen zu fassen, Beziehungen aufzubauen und aus dem heraus mit den Leuten zusammen Kirche zu sein. Das sind im besten Fall solche, die noch gar nichts davon wissen, wie Kirche «geht».

70 Prozent der Bevölkerung haben keine Erwartungen mehr an die Kirche.

Vermutlich wird es also keine Gottesdienste geben. Denn dazu haben viele Leute keinen Zugang mehr. Wir gehen von über 70% der Bevölkerung aus, die keinerlei Erwartungen mehr an die Kirche haben. Darum wird und muss es eine andere Form geben, wie die Suche nach Gott Gestalt gewinnt.

Frauenfeld ist das erste «Legacy»-Projekt. Es gibt bestimmte Entwicklungsschritte. Kannst du die Phasen beschreiben, die ein solches Projekt durchläuft?

«Das unter­stütze ich!»

Wollen Sie Proj­ekte wie das in Frauen­feld im Arbeits­bereich 🔗«Kirche anders» fördern? Dann spen­den Sie jetzt! Scan­nen Sie dazu den QR-Code unten mit Ihrer TWINT-App. Vielen Dank für Ihre Unter­stützung!

QR-Code für eine Einzahlung via TWINT für «Kirche anders»

Am Anfang stand die Einsicht: Als klassische Kirchgemeinde kommen wir nicht mehr weiter. Die Gemeinde ist überaltert. Die Arbeit lässt sich nicht mehr machen. – Als Bereich GemeindeEntwicklung schauen wir dann genauer hin: Da gibt es ein Gebäude. Das ist  die 🔗«Legacy», das Erbe, der Nachlass.

Dann machen wir eine Sozialraumanalyse: Was sind Möglichkeiten? In was für einem Umfeld ist das Gebäude? Lohnt sich der Einsatz? Ist da Potenzial? – In diesem Sinne ist Frauenfeld perfekt. Das Gebäude befindet sich wenige Minuten vom Bahnhof weg. Rund herum hat es Beizen, einen Coiffeur-Laden, einen Quartierverein …

Aufgrund der Sozialraumanalyse stellen wir beim Vorstand einen Antrag, dass dort wieder etwas gestartet werden soll. Das heisst: Finanzen sollen bereitgestellt, ein Pionier oder eine Pionierin gesucht werden.

«Legacy» bedeutet, dass die bisherige Gemeinde quasi in die Zukunft investiert mit dem Gebäude und den Mieten.

Für mich ist es ausserdem wichtig, den Kirchgemeindebezirk, in denen dieser Ort eingebunden war, mit einzubeziehen und mit ihnen zusammen zu arbeiten. Denn «Legacy» bedeutet ja, dass sie quasi in die Zukunft investieren mit dem, was sie haben. In diesem Fall mit Gebäude und Miete.

Jetzt sind wir in der Phase, in der der Pionier, Martin Wieland, seine Arbeit aufnimmt. Dazu gehört zunächst die INfrastruktur: Martin muss sich mit einem Büro einrichten, damit er die Projektarbeit beginnen kann. Dann geht er hin, hört zu, schaut hin und baut ein Netzwerk auf.

Das bedeutet in erster Linie: Zu den Leuten gehen. Gegenüber ist ein Steack-House. Wie wäre es, wenn Martin da regelmässig hingeht und Beziehungen aufbaut? Oder der Quartierverein. Ich hatte bereits mit dem Präsidenten Kontakt. Der sagte mir: «Ja, ich weiss, dass es da eine Methodistenkirche gibt. Aber da hat es keine Verbindung gegeben.» Auch hier geht es darum, dass wir mit denen zusammensitzen und reden: Was können wir machen, damit das Quartier weiter auflebt? Wo können wir uns gegenseitig helfen und unterstützen?

Auf diese Weise kommt man in Netzwerke hinein, kann sich mit den Leuten verbinden und verstehen. Das ist ganz entscheidend: Den Kontext genau wahrnehmen.

Mir war wichtig, dass Martin auch mit den Kirchen vor Ort in Kontakt tritt und klar macht: Die 30%, die für euch interessant sind, interessieren mich nicht. Ich richte mich auf die 70%, die ihr kaum oder gar nicht erreicht. Auch mit den Behörden werden wir Kontakt aufnehmen. Wir wollen auch da gute Beziehungen aufbauen.

‹Hey, die sind innovativ. Dort könntest du Dinge ausprobieren, die du sonst in einer Kirche vergessen könntest!›
Wie habt ihr Martin Wieland gefunden?

Im Moment sind einige Projekte in den Startlöchern. Nicht gerade solche Legacy-Projekte, aber bei 🔗«Kirche anders». Die Leute dafür finden wir in der Regel über zwei Schienen: Entweder du kennst jemanden, der jemanden kennt … Oder jemand hört von der Methodistenkirche: ‹Hey, die sind innovativ. Dort könntest du Dinge ausprobieren, die du sonst in einer Kirche vergessen könntest.›

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir im ‹Kirchenkuchen› als sehr innovativ gelten. In den letzten Jahren haben wir das – bewusst oder unbewusst – nach aussen signalisiert. Und das ist einfach cool. Die Leute kommen dann im Prinzip zu uns. Martin ist auch über das entsprechende 🔗Inserat, das wir verbreiten, auf uns aufmerksam geworden.

Es hat immer Leute, die so etwas im Hinterkopf haben. Und wenn die sehen: ‹Da hat man die Möglichkeit, so etwas zu machen!›, dann kommen die wirklich hinter den Büschen hervor.

Was ist Deine Aufgabe in den ganzen Projekt?

Meine Aufgabe ist ganz klar beratend. Ich bin Martins Coach von Seiten der GemeindeEntwicklung. Matthias Fankhauser, Leiter des Bereichs GemeindeEntwicklung, ist verantwortlich für den Arbeitszweig «Kirche anders», in den er eingefügt wird. Das heisst: Er ist das Bindeglied zu den Zentralen Diensten und zum Vorstand.

Das ist sehr hilfreich, dass wir so arbeiten können. Matthias ist sein Chef. Ich kann «alongside» mit ihm unterwegs sein und ihn in seiner Arbeit unterstützen. So können wir als Kollegen unterwegs sein. Das ist ein spannendes Setting, das wir zur Zeit ausprobieren. Mein Eindruck ist, dass sich das bewähren könnte.

Für mich ist dieses erste Jahr ganz wichtig. Hier wird die Basis gelegt, auf die man nachher aufsetzen kann.
Wie lange dauert die jetzt begonnene Phase?

Wir haben es ja mit einem Pionier zu tun, der relativ schnell und gern etwas macht. Ich denke darum: ein Jahr maximal. In der Regel entsteht schon früher etwas.

Für mich aber ist dieses erste Jahr ganz wichtig. Hier wird die Basis gelegt, auf die man nachher aufsetzen kann: ein Netzwerk aufbauen, Leute kennenlernen, Stake-Holder ausmachen …

In einer späteren Phase soll daraus eine Arbeit entstehen, bei der man einerseits der Gesellschaft dient und andererseits gemeinsam unterwegs ist und früher oder später auch die Spiritualität zum Zug kommt. Mit den Leuten zusammen sollen dann Gefässe entstehen, in denen es darum geht, Gott zu suchen. Im besten Fall gibt es daraus eine Arbeit, die wächst und blüht.

S.F.
Beitragsbild: Martin Wieland (l.) und Chris Forster vor dem Eingang der Methodistenkirche in Frauenfeld. (Foto: zVg)

Weitere Newsmeldungen

Abonnieren Sie unseren Newsletter


«Legacy»

Wenn methodistische Kirchgemeinden ihre Arbeit an ihren Standorten nicht mehr wahrnehmen können, zum Beispiel aufgrund der Alterstruktur oder aus finanziellen Gründen, prüfen Verantwortliche aus dem 🔗Bereich GemeindeEntwicklung der Methodistenkirche in der Schweiz, ob an diesen Orten und in den bestehenden Gebäuden neue Formen von Kirche entstehen können. 🔗«Poinierinnen» oder «Pioniere» werden eigens für diese Aufgabe angestellt. Sie knüpfen vor Ort Kontakte und entwickeln mit den Leuten in diesen neuen Netzwerken geeignete Formen kirchlicher Gemeinschaft und kirchlicher Arbeit.

Mehr zum Projekt «Legacy» der Methodistenkirche

Kirche anders

Die Kirche ist herausgefordert, neue Wege zu gehen, um gesellschaftsrelevant zu sein. In der Methodistenkirche der Schweiz sind eine 🔗Reihe von Projekten entstanden oder am Entstehen, in denen neue Formen der kirchlichen Gemeinschaft entwickelt und ausprobiert werden. Der Bereich GemeindeEntwicklung unterstützt diese Projekte. 🔗Strukturell sind diese wie ein «Kirchgemeindebezirk» Teil der Methodistenkirche in der Schweiz – mit dem Unterschied, dass die zugehörigen Kirchgemeinden in der ganzen Schweiz zu finden sind.

Mehr zum Arbeitsbereich «Kirche anders» der Methodistenkirche