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Bild: Zwei junge Frauen in Bolivien

Die eigenen Wurzeln kennen und schätzen lernen

11. Februar 2022

Am 29. Januar 2022 fand in La Paz, Bolivien, ein Podiumsgespräch für Verantwortliche des methodistischen Jugendwerks statt. Rund 40 junge Erwachsene setzten sich mit Fragen der eigenen kulturellen Identität und mit ihrem Glauben auseinander.

Zur Methodistenkirche in Bolivien gehören hauptsächlich Personen aus der Kultur der Aymara und Quechua. Diese Menschen erlebten über Generationen hinweg, dass sie und ihre Kultur nicht viel zählen, denn die indigene Bevölkerung wurde unterdrückt und diskriminiert. Am Podiumsgespräch nahmen ein Bischof im Ruhestand, ein Philosoph und ein Soziologe die Grundlinien des andinen Denkens auf. Die jungen Teilnehmer:innen sollten dadurch ihre eigenen Wurzeln besser kennenlernen und ihre eigene Identität und Glaubens-Ausdrucksformen wertschätzen und gestalten lernen.

Grundfragen der Jugend

Die politischen Unruhen 2019 mit der Flucht von Evo Morales, der sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung eingesetzt hat, haben viele junge Erwachsene tief verunsichert. Die Teilnehmenden am Podiumsgespräch fragten sich: Wie geht es für uns weiter? Die Vorträge kamen gut an, gerade auch, weil immer mehr junge Menschen in den Städten aufwachsen und die ländliche Lebensweise ihrer Eltern und Grosseltern nicht mehr kennen.

Kind Gottes sein

Carlos Intipampa ist Bischof im Ruhestand. In seinem Referat stellte er die ihm sehr wichtige Frage: Wer sind wir als Andenbewohner, wir Aymara oder Quechua? Er erzählte: «Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass das, was wir haben, nicht viel wert ist. Es gab immer wieder Leute von aussen, die uns zeigen wollten, dass das, was wir in uns haben, nicht ausreicht. In meinem Lauf durchs Leben musste ich Schritt für Schritt lernen, wer ich bin und dass das, was ich bin, einen Wert hat. Ich bin Theologe und habe gelernt, dass ich ein Kind Gottes und deshalb viel wert bin.» Bei seinen Studien habe er auch entdeckt, dass die andine Denkweise der ganzheitlicheren hebräischen Denkweise ähnlicher sei als der griechisch-lateinischen Denkweise, die auch die europäisch-christliche Denkweise war.

Immer mehr haben wollen

Philosoph Rafael Bautista Segales führte aus, dass das moderne westliche Denken das Individuum in den Mittelpunkt stelle. Der Mensch stehe über der Natur. Er lenke, beherrsche, korrigiere oder rette sie. Das Zentrum der heutigen Weltwirtschaft sei das ‹mehr›. Wenn es darum gehe, gut zu leben, sage die Wirtschaft: Es reicht nicht, du brauchst mehr. Die Weltwirtschaft müsse wachsen, um zu funktionieren. «Warum ist es nicht möglich zu sagen, dass ‹gut› genug ist?», fragte er. «Wir brauchen kein ‹mehr›, kein ‹besser›, keinen ‹Mehrwert›.»

Alles hat seinen Platz

Die Andenvölker hingegen sähen sich als Teil eines grossen kosmologischen Systems. Dazu gehöre der Himmel und der Geist, der Regen und Sonne an die Erde weitergebe und alles, was lebe: von den Landtieren und Vögeln bis zu den Menschen, Fischen, Setzlingen und Bäumen. Das Ziel sei es, gut zu leben, und das bedeute, seinen Platz und seine Rolle in dieser Welt zu finden und dafür zu sorgen, dass alles in gutem Gleichgewicht ist.

Die Macht der Macht begrenzen

Die Andenbewohner:innen sind der Meinung, dass es nicht gut für die Gemeinschaft ist, wenn ein Mensch zu viel Macht hat. Deshalb gibt es in der Politik und in der Kirche Systeme der Machtveränderung mit dem Ziel der Machtbegrenzung. Rafael Bautista Segales ist überzeugt: «Wenn wir Menschen einmal eine Machtposition eingenommen haben, geben wir sie nur ungern wieder ab, weil wir immer mehr wollen. Das ist es, was Macht mit uns macht. Deshalb ist es gut, die Macht der Macht zu begrenzen.»

Schlaue Lamas

Benecio Quispe Gutierrez, Soziologe, erzählte, dass sie in seiner Kindheit jeden Morgen etwa 120 Lamas aus allen Häusern des Dorfes eingesammelt und zu einer Weide geführt hätten. Mitten am Tag seien sie ins Dorf zurückgekehrt und hätten Fussball gespielt. Die Lamas seien sehr schlau und wenn sie vom Feld ins Dorf geführt worden seien, hätten sie selbst nach Hause gefunden und an den verschiedenen Brunnen getrunken. Jeden Tag hätten sich alle Familien des Dorfes bei den Brunnen getroffen, und bei Konflikten seien Lösungen gefunden worden.

Verbesserte Effizienz?

«Eines Tages kam ein Mann von einem globalen Agrarunternehmen und sagte, dass wir unser Einkommen durch mehr Effizienz verbessern könnten,» berichtete Benecio Quispe Gutierrez. Dieser hätte ein grosses Haus mit viel Platz für die Lama-Herden gebaut. Als andere Bauern ihre Lamas an dem Brunnen haben tränken wollen, der sich nun auf dem Land des Geschäftsmanns befunden hätte, habe er zu ihnen gesagt: «Das ist nicht möglich. Dies ist mein Gebiet, und niemand kann es ohne Bezahlung nutzen.»

Die drei Referate führten zu regen Diskussionen. Für die jungen Erwachsenen stand am Schluss die Frage im Raum: Wie könnte eine ländliche-andine Lebens- und Denkweise in einer modernen Stadtkultur aussehen und diese sogar positiv beeinflussen?

Nicole Gutknecht / David Brenner
Bild: Monika Brenner

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