
«Es reicht nicht aus, den Flüchtlingen nur ein Dach über dem Kopf zu geben»
23. April 2022
Der Krieg in der Ukraine tritt für viele im Westen vielleicht bereits wieder etwas in den Hintergrund. In den Ländern nahe der Ukraine kommen immer noch weitere Flüchtlinge an. Wichtigste Aufgabe ist es vielerorts, diesen einen eigenen Zugang zu und Platz in den jeweiligen Gesellschaften zu ermöglichen.
Jana Křížova vergleicht die aktuellen Herausforderungen in der Arbeit mit den Flüchtlingen mit Menschen, die sich verlieben. «Nach einer Zeit der ersten Begeisterung muss nun eine festere Beziehung mit einer längerfristigen Perspektive aufgebaut werden.» Die methodistische Pfarrerin koordiniert die Hilfsaktionen für ukrainische Flüchtlinge der Methodistenkirche in Tschechien.
Zugleich stelle sich bei den Helfer:innen, die in der Zeit seit Kriegsbeginn Woche für Woche Dutzende von Menschen aufgenommen haben, eine gewisse Müdigkeit ein, berichtet László Khaled aus Ungarn, methodistischer Superintendent in Ungarn.
Kurse und Kurse und Begegnungsmöglichkeiten

Die Koordinator:innen der Arbeit der Methodistenkirche für die ukrainischen Flüchtlinge in den an die Ukraine direkt oder indirekt angrenzenden Ländern berichteten am Mittwoch in einem Online-Meeting aus ihrer Arbeit.
An verschiedenen Orten haben Methodist:innen Aktivitäten speziell für die ukrainische Bevölkerung entwickelt und durchgeführt. So gibt es beispielsweise Sprachkurse in Tschechien, Bulgarien und Polen. Oder eine Begegnungsstätte für ukrainische Kinder und ihre Mütter in 🔗Protivín (Tschechien). In 🔗Dobrich (Bulgarien) wird an einer Schule eine neurographische Kunsttherapie angeboten. In 🔗Shumen (Bulgarien) wird das von den dortigen Methodist:innen eingerichtete Sozialzentrum für Flüchtlinge täglich von mehr als 20 Personen besucht.
In Gemeinschaften integrieren
Die Methodist:innen in Rumänien wollen nicht in erster Linie separate ukrainische Gemeinschaften aufbauen, sondern die neuen ukrainischen «Freunde» einladen, Teil einer nachhaltigen, vielfältigen Gemeinschaft zu werden. Sarah Putman, Koordinatorin in Rumänien, berichtet beispielhaft von einer krebskranken Frau aus der Ukraine, die im methodistischen Gemeindezentrum in 🔗Cluj-Napoca aufgenommen worden ist. Im selben Gebäude leitet ein Mitglied der Methodistenkirche die Arbeit einer gemeinnützigen Organisation, die rumänische Krebspatientinnen begleitet. Die ukrainische Frau wird so nicht nur die Hilfe erhalten, die sie braucht, sondern auch Teil einer tragfähigen Gemeinschaft sein.
Flüchtlinge im Gottesdienst
In Cluj-Napoca, Rumänien, nehmen zudem bis zu 20 ukrainische Flüchtlinge regelmässig an den Gottesdiensten der Methodistenkirche teil. «Sie haben begonnen, Bibelstellen auf Ukrainisch zu lesen, damit die Gottesdienstbesucher das Wort in der Sprache ihres Herzens hören können», erzählt Sarah Putman. In Prag, Tschechien, würden Flüchtlinge, die an einem Gottesdienst teilnehmen möchten, in der Regel an die dortige russischsprachige Methodistengemeinde in Prag verwiesen, sagt Jana Křížova. Die Mehrheit der Gemeindeglieder dieser Gemeinde hat ukrainische Wurzeln.
Keine «Missionsobjekte»
Einhellig unterstreichen die verantwortlichen Methodist:innen, die Flüchtlinge seien keine «Missionsobjekte». Jana Křížova etwa betont, die schwierige und schmerzhafte Situation, in der sich die Flüchtlinge befinden, dürfe nicht missbraucht werden. «Es ist sehr einfach, Menschen in Not zu manipulieren. Deshalb dürfen Flüchtlinge nicht zu einer Entscheidung über ihren Glauben gedrängt werden.»
Glaube als Ressource
Doch für viele Ukrainer:innen auf der Flucht ist der Glaube auch eine wichtige Ressource. Beispielhaft erzählt László Khaled aus Ungarn die Geschichte einer ukrainischen Familie, die zum Gottesdienst gekommen war. «Die Gemeindemitglieder fragten sie, was sie ihren Gästen mitgeben könnten: Essen, Kleidung, Schuhe und so weiter. Aber die ukrainische Familie antwortete: ‹Wir brauchen nichts. Wir brauchen nur einen Gottesdienst.›»
Hilfstransporte gemeinsam vorbereiten
Szarlota Kaminska aus Polen erzählt von einer ganz anderen Form der Zusammenarbeit zwischen ukrainischen Flüchtlingen und einer Ortsgemeinde: «Ukrainische Flüchtlinge haben in den vergangenen Wochen bei der Vorbereitung von Hilfstransporten in die Ukraine mitgeholfen und konnten so selbst zu den Hilfsaktionen für ihre Landsleute in der Heimat beitragen.»
Arbeit, Wohnraum, Selbständigkeit
«Wenn unsere Hilfe wirklich wirksam sein soll, reicht es nicht aus, den Flüchtlingen nur ein Dach über dem Kopf zu geben», schreibt Karel Nyerges, Direktor des methodistischen Diakoniewerks in Tschechien, in einem Rundschreiben. «Es braucht ein Team von Menschen, die sich um die wichtigen administrativen und sozialen Belange kümmern und auch als feste Kontaktstelle zwischen den Flüchtlingen in unseren Einrichtungen und unserer Gesellschaft dienen.» Ihm zufolge besteht das Ziel ihres Wirkens darin, Arbeit und Wohnraum für Menschen aus der Ukraine zu finden und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit Psycholog:innen oder anderen Trauma-Spezialist:innen zu sprechen, damit sie dann ihr Leben ohne Unterstützung des Diakoniewerks leben können.
Gemeinsam dran bleiben
Die von Jana Křížova beschriebene Aufgabe, Beziehungen mit einer längerfristigen Perspektive aufzubauen, ist herausfordernd. Methodist:innen engagieren sich an vielen Orten in Zusammenarbeit mit anderen Helfer:innen vor Ort und mit Unterstützung aus dem weltweiten methodistischen Netzwerk, dass dieser wichtige Prozess möglichst gut gelingt.