
«Heimweh lag in der Luft»
11. Mai 2022
Einmal in der Woche treffen sich in der Methodistenkirche in Affoltern am Albis Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie wohnen in Affoltern und in umliegenden Dörfern. In der Methodistengemeinde treffen sie sich und reden über ihre Erfahrungen. Leena Burkhard, Methodistin aus Affoltern am Albis, ist als Gastgeberin mit dabei.
Viele der Personen, bei denen die ukrainischen Gäste nach ihrer Flucht in die Schweiz untergekommen sind, gehören zur Chrischonagemeinde in Affoltern. «Der Chrischona Pfarrer hat uns angefragt, ob wir eine Möglichkeit für ein Treffen in unseren Räumlichkeiten hätten und ob jemand bei uns die Gäste betreuen würde», erzählt Leena Burkhard. Als sie angefragt wurde, die Betreuung zu übernehmen, hat sie spontan zugesagt.
Ukrainisch essen
Im April haben die Gäste begonnen, gemeinsam Mittagessen vorzubereiten. «Sie wollten gemeinsam ihre eigenen Spezialitäten kochen, zum Beispiel Borschtsch, und dabei auch andere ukrainischen Flüchtlinge treffen und einander kennenlernen», sagt Leena Burkhard. Das Menü stellten sie selbst zusammen und gingen auch einkaufen. «Manchmal bin ich mit ihnen gegangen.» Ein Teil der Lebensmittel sei ihnen von den Geschäften geschenkt worden. «Den Rest hat jeweils die Chrischona-Gemeinde gespendet.»
Erste Veränderung
Inzwischen wurde das Angebot angepasst. Viele der Gäste besuchten bereits einen Deutschkurs am Vormittag, erzählt Leena Burkhard. Die Kinder könnten zur Schule gehen. «Nun treffen wir uns von 14:30 bis 16:30 Uhr zu Kaffee, Tee, Kuchen und Guetzli.» Rund 20 Personen seien an den Treffen mit dabei. Meist Frauen mit ihren Kindern oder ältere Ehepaare. Viele kommen regelmässig.
Erzählen und zuhören
Den Gästen auf Augenhöhe zu begegnen, erfordere einen einfühlsamen Umgang mit ihnen. «Sie haben das Bedürfnis, miteinander über das, was sie erlebt haben, zu reden», sagt Leena Burkhard. «Mit mir wollen sie über das Leben in der Schweiz, über unsere Kirchgemeinde oder den Glauben reden.» Zuhören sei wichtig. «Ich will Geborgenheit und Zuversicht anbieten, da sein für Gespräche und Gottes Liebe weitergeben.»
Sommerkleidung
Ausser ihr selbst ist noch ein anderes Ehepaar aus der Methodistengemeinde da. «Helga und Heinz Guidon betreuen vor allem die Kleidersammlung.» Hier können die ukrainischen Gäste Kleider und Schuhe erhalten. Das Angebot werde rege genutzt, weiss Leena Burkhard. «Viele Flüchtende kamen mit Winterkleidung an. Nun brauchen sie Sommerkleidung und Sommerschuhe.» Schon viele Jahre lang hatte die Methodistengemeinde in Affoltern am Albis Kleider für die Ukraine gesammelt und dann dorthin geschickt. «Jetzt können wir die Kleider direkt den Leuten geben, die sie brauchen.»
Sich verständigen
Leena Burkhard kommt ursprünglich aus Finnland. «In der Schule hatte ich früher etwas Russisch gelernt. Jetzt kann ich diese Kenntnisse gebrauchen.» Vieles habe sie allerdings wieder vergessen. Sie nutzt darum Smartphone-Apps zur Übersetzung. «Dadurch kann ich recht gut auch mit Gästen kommunizieren, die kein Englisch oder Deutsch sprechen.» Die jüngeren Gäste sprächen oft sehr gut Englisch, seien jedoch nicht gewohnt, diese Fremdsprache zu reden. «Doch bis anhin haben wir uns immer irgendwie verstanden.»
Berührende Momente
Manches Mal braucht es gar keine Sprache, um sich zu verstehen. «Eine sehr talentierte Ukrainerin hat bei uns während des Treffens Klavier gespielt», erzählt Leena Burkhard. Einmal habe sie mit ihrem Handy ein Lied vorgespielt. Am Tag, bevor der Krieg begann, habe sie das Lied aufgenommen. Das Lied erzähle von der Schönheit der ukrainischen Natur, erklärten ihr die anderen Gäste. «Ich habe den Text nicht verstanden, aber die ukrainischen Gäste waren sehr berührt.» Die melancholische Melodie hatte die ukrainische Frau selbst komponiert und auch den Text dazu geschrieben. Gesungen wurde es von ihrer Tochter. «Ich merkte, wie Heimweh in der Luft lag!»
Ähnliche Erfahrungen
Gefragt, warum sie sich für die Flüchtlinge engagiere, sagt Leena Burkhard: «Auch mein Land hat einen Krieg gegen Russland erlebt.» Sie selbst zwar gehöre zur jüngeren Generation und hat keine eigenen Erinnerungen an diesen Krieg. «Aber meine Eltern haben davon erzählt.» Darum wollte sie nun den ukrainischen Flüchtlingen helfen. «Die ukrainischen Männer kämpfen für die Freiheit ihres Landes, aber auch für die Freiheit von uns allen in Europa. Wenn ich den ukrainischen Frauen in ihrer schwierigen Situation ein wenig helfen kann, tue ich das gerne.»