Bezirk
Bild: Bischof Amércio Jara Reyes

«Wir müssen zu den Menschen gehen und hören, was sie bewegt»

11. Juli 2022

Der Bischof der Methodistenkirche in Argentinien, Américo Jara Reyes, hat vom 11.-21. Juni die Schweiz und Frankreich besucht. In Predigten, Liedern, Gesprächsrunden und persönlichen Kontakten drückte er aus, was ihm wichtig ist: Alle Menschen sind am Tisch von Jesus willkommen. Und die Kirche soll sich dafür einsetzen, dass Menschen das Leben in Fülle haben.

Connexio hope und Connexio develop, die Organisationen für kirchliche Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit der Methodist:innen, haben Américo Jara Reyes für das 20-Jahr Jubiläum von Connexio eingeladen. Gleichzeitig war der Bischof Gast an der Jährlichen Konferenz (Synode) Schweiz-Frankreich-Nordafrika der Methodist:innen in Schaffhausen. Am Konferenzsonntag erzählte er in einer Gesprächsgruppe von seiner Migrationsgeschichte, zeigte auf, wie die Kirche inklusiver werden kann und diskutierte mit den Teilnehmenden, ob der Gottesdienst nicht besser am Samstagabend sein sollte.

Gott strickt Gutes

Américo Jara Reyes ist seit vier Jahren Bischof der Methodistenkirche in Argentinien. Er ist verheiratet und Vater von vier Töchtern. Er ist in Chile aufgewachsen und seine Familie war in der Methodistenkirche verwurzelt. Sein Vater wurde in Zeit der Militärdiktatur (1973-1990) umgebracht. «Meine Mutter hatte grosse Angst, aber auch Weitblick», erzählte Américo Jara Reyes, «sie hat sich gesagt: das wird noch lange dauern. Und sie ist mit uns nach Argentinien ausgewandert.» Eine Woche, nachdem sie ankamen, begann auch in Argentinien die Diktatur (1976-1983). Doch weil die Familie in Argentinien nicht bekannt war, war sie dort sicherer. Bischof Américo ist überzeugt, dass Gott an seinem Leben strickt und trotz dieser sehr schweren Erfahrungen etwas Gutes daraus gemacht hat.

Gerechtigkeit wirken

Kirche für Gerechtigkeit, Argentinien
Seit 2020 leben beinahe 47% der Bevölkerung Argentiniens in Armut, während die reichsten 10% mehr besitzen als über 60% der Gesamtbevölkerung. Die Methodistenkirche setzt sich für soziale Gerechtigkeit, das Recht auf Migration, Klimagerechtigkeit und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein. Sie thematisiert in Gemeinden häusliche Gewalt und bietet Jugendlichen online-Foren, um sich mit dem Thema «patriarchale Strukturen» auseinanderzusetzen. Die Kirchenleitung veröffentlicht Kurzvideos zu Klimagerechtigkeit oder soziale Gerechtigkeit. Sie nimmt öffentlich Stellung, wenn beispielsweise indigene Völker diskriminiert werden.
Connexio hope, Zürich, CH09 0900 0000 1574 7657 4 «Kirche für Gerechtigkeit, Argentinien»

Américo Jara Reyes sagt, dass er verziehen habe. Aber Wahrheit bleibe ihm wichtig und Gerechtigkeit. Als Bischof wolle er sich für umfassende Gerechtigkeit einsetzen. Ihm sei bewusst, dass er in einer patriarchalen Gesellschaft aufgewachsen sei und dass auch die Strukturen in der Kirche noch zu wenig inklusiv seien. Er erinnere vor den Wahlen jeweils daran, dass es in Leitungsgremien noch mehr Frauen und mehr junge Menschen brauche. «Jesus – Gnade, die umgestaltet, Hoffnung, die befreit.» Das ist der Leitsatz der Methodistenkirche in Argentinien und Américo Jara Reyes ist überzeugt, dass es Auftrag der Kirche ist, die Gesellschaft so umzugestalten, dass sie gerechter wird und dass alle Menschen in gleicher Weise teilhaben können.

Am Tisch von Jesus

«Die Kirche gibt manchmal Antworten auf Fragen, die niemand stellt. Wir müssen zu den Menschen gehen und hören, was sie bewegt und was sie brauchen. Manchmal ist das unbequem für uns», meinte Américo Jara Reyes. Am Tisch von Jesus hätten aber immer ganz verschiedene Leute Platz gehabt. Alle seien willkommen. Er ist sicher, dass Jesus keine Probleme mit Inklusion gehabt hat. Der Bischof regte an, die Angebote der Kirche anzupassen. «Wenn am Sonntag die Jungen fehlen, kann ich entweder leiden und den Fehler bei mir suchen. Oder ich passe meine Erwartungen der Realität an und schaue, was möglich ist. Vielleicht könnte der Gottesdienst am Samstagabend mit einem Nachtessen vor dem Ausgang stattfinden?» In der Schweiz stellen sich dieselben Fragen und die Teilnehmenden diskutierten und brachten ihre Erfahrungen ein.

Kairos und Liebe

Die Kirche in Argentinien habe immer Antworten gesucht auf das, was Menschen aktuell brauchten, berichtete der Bischof. Als es ausschliesslich Friedhöfe für Katholik:innen gab, habe sich die Methodistenkirche dafür eingesetzt, dass alle Religionen das Recht auf einen Friedhof hatten. Später habe die Kirche in Schulen und Universitäten investiert und gehofft, damit zukünftigen Führungskräften christliche Werte mitzugeben. Diese Hoffnung habe sich leider nicht erfüllt. «Es geht darum, den Kairos Gottes zu erfassen, dieser von Gott gegebene Moment. Es geht darum zu sehen, welche Möglichkeiten es jetzt gibt, dass Menschen Gottes Fülle erleben.» Es gehe um die Liebe, gab Américo Jara Reyes den Teilnehmenden der Gesprächsrunde mit auf den Weg: «Dieser Kairos, dieser von Gott geschenkte richtige Moment ist Liebe. Wer liebt, nimmt sich Zeit für andere Menschen. Wer liebt, hat Zeit.»

Nicole Gutknecht
Beitragsbild: Amércio Jara Reyes (zweiter von links) lehrt die Gruppe ein spanisches Lied (Foto: Andreas Stämpfli)

Weitere Newsmeldungen

Abonnieren Sie hier unseren Newsletter