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Bild: Dr. Agnes Abuom erklärt die 11. Vollversammlung für beendet

Die Liebe Christi und die Konflikte in der Welt

12. September 2022

Zu gemeinsamem Handeln fordert das Abschlussdokument der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen auf. Weitere Erklärungen nehmen zum Krieg in der Ukraine und zum Nahost-Konflikt Stellung.

Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) ist Geschichte. Neun Tage lang, vom 31. August bis zum 8. September tagte sie in Karlsruhe. Am Schlusstag der Veranstaltung verabschiedeten die Delegierten zahlreiche Dokumente zu verschiedenen Themenbereichen, zu denen in den Tagen zuvor Gremien getagt hatten und in Plenumsveranstaltungen Anmerkungen und Fragen eingebracht wurden, die in die Schlussdokumente eingearbeitet wurden. Mit einem Gottesdienst endete die Tagung. Der nächste Versammlungsort steht noch nicht fest.

Die Einheit ist in der Liebe Christi verankert

In einer Botschaft zum Abschluss der Karlsruher Tagung (🔗englische Originalfassung) riefen die Delegierten zur «Heilung unseres lebendigen Planeten» auf. «Wir werden die Kraft zum Handeln aus einer Einheit schöpfen, die in der Liebe Christi verankert ist», heisst es in der Botschaft mit dem Titel «Ein Aufruf zum gemeinsamen Handeln». Ziel sei es, Frieden zu schaffen und zu bewahren. Damit knüpfe die Botschaft an Texte der Vollversammlungen von 1948 in Amsterdam und 1975 in Nairobi an. Es sei zu bedauern, dass diese Erklärungen wiederholt werden müssten.

Aus Liebe gemeinsam handeln

Im Text der Botschaft wird vor Katastrophen gewarnt, die direkt auf eine verantwortungslose und zerbrochene Beziehung mit der Schöpfung zurückgingen und zu ökologischer Ungerechtigkeit und der Klimakrise geführt hätten. In dem Masse, in dem der Klimanotstand Fahrt aufnehme, vergrössere sich auch das Leiden von mittellosen und an den Rand gedrängter Menschen. Bezugnehmend auf das Thema der Vollversammlung, «Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt», betonen die Delegierten, dass die Liebe Christi sie dazu dränge, in Solidarität vor Gott zu treten und «gemeinsam zu handeln und für Gerechtigkeit einzutreten».

Gespräche hinter den Kulissen

Schon vor dem Beginn der Vollversammlung war einer der Streitpunkte die Teilnahme einer Delegation der Russisch-orthodoxen Kirche, die immerhin die grösste der 352 Mitgliedskirchen des Weltkirchenrats ist. Vor der Vollversammlung wurde mehrfach deren Ausschluss gefordert. Die erhoffte dialogische Begegnung der Delegationen der Russisch-orthodoxen Kirche und der sich von ihr lösenden Orthodoxen Kirche der Ukraine kam in den Tagen von Karlsruhe nicht zustande. Hinter den Kulissen der Veranstaltung habe die ÖRK-Leitungsebene mit beiden Delegationen Kontakt gehabt, was quasi «eine Art indirekter Dialog» war, erklärte der geschäftsführende ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca auf der abschliessenden Pressekonferenz. Bei kritischen politischen oder kirchlichen Auseinandersetzungen gebe es «eine Bandbreite zwischen diplomatischen Verhandlungen und Schweigen», erklärte Petra Bosse-Huber, die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für den Konflikt dieser Kirchen sei die Zeit in Karlsruhe «so irgendwie dazwischen gewesen».

Erklärung zum Krieg in der Ukraine

Die zu diesem Konflikt verabschiedete Erklärung unter dem Titel «Krieg in der Ukraine, Frieden und Gerechtigkeit in der Region Europa» (🔗englische Originalfassung) verurteilt schlussendlich die «illegale und nicht zu rechtfertigende» russische Invasion der Ukraine und erneuert den Ruf nach einem Waffenstillstand und dem sofortigen Abzug russischer Truppen. Die Erklärung bekräftigt nachdrücklich und erneut die Formulierung, dass «Krieg mit der Natur Gottes unvereinbar ist». Die «Weggemeinschaft der weltweiten Gemeinschaft von ÖRK-Mitgliedskirchen» stehe hinter den betroffenen Menschen. «Wir beten gemeinsam für alle Opfer dieses tragischen Konflikts in der Ukraine, in der Region und auf der ganzen Welt, dass ihr Leid ein Ende haben möge und sie Trost finden und ein sicheres Leben und Würde für sie wiederhergestellt werden möge.»

Konflikte in anderen Weltregionen

Zu Anfang der Vollversammlung hatten sich Delegierte aus anderen Teilen der Welt zu Wort gemeldet, dass die europazentrierte Betrachtung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine die Wirklichkeit verzerre. Es sei verständlich, dass eine Erklärung dazu gefordert werde, allerdings gebe es noch andere Regionen und Kirchen in dieser Welt, die von massiven Auseinandersetzungen, Genozid und Verfolgung betroffen seien. Es sei dann nur folgerichtig, wenn der ÖRK auch dazu Erklärungen abgebe. Infolgedessen gab es weitere, kürzere Erklärungen zur Beendigung des Krieges und Friedensbemühungen auf der koreanischen Halbinsel, zu den Folgen des Nagorno-Karabach-Kriegs von 2020, zur Situation in West-Papua und zum Syrisch-Aramäischen Genozid.

Stellungnahme zum Nahost-Konflikt

Im Vorfeld zur Karlsruher Versammlung war der immer wieder dem ÖRK gegenüber geäusserte Vorwurf hochgekocht, im Nahost-Konflikt einseitig Partei für die Palästinenser:innen zu ergreifen. Konkreter Anlass dafür waren Bestrebungen, aus der Vollversammlung heraus Israel zum Apartheid-Staat zu erklären. Der befürchtete Eklat blieb aus.

Das zum Abschluss verabschiedete Dokument (🔗englische Originalfassung) formulierte einen noch mit heisser Nadel gestrickten Kompromiss: «In jüngster Zeit haben zahlreiche internationale, israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen und juristische Gremien Studien und Berichte veröffentlicht, in denen die Politik und die Handlungen Israels als ‹Apartheid› im Sinne des Völkerrechts beschrieben werden.» Weiter ist dann davon die Rede, dass einige Kirchen und Delegierte nachdrücklich die Verwendung dieses Begriffs unterstützten, da er die «Realität der Menschen in Palästina/Israel und die völkerrechtliche Lage zutreffend beschreibt». Andere dagegen hielten ihn für «unangemessen, wenig hilfreich und schmerzhaft».

Illegale Siedlungspolitik

Trotz der verabschiedeten Kompromissformel heisst es im Abschlussdokument auch, dass die israelischen Siedlungen im Westjordanland ein Hindernis auf dem «Weg zu einem gerechten Frieden» in der Region seien. Die sich ausbreitenden israelischen Siedlungen «in den besetzten palästinensischen Gebieten» seien «nach internationalem Recht illegal». Die Ausdehnung der Siedlungen und die damit einhergehende verstärkte israelische Militärpräsenz hätten das Leid der palästinensischen Gemeinschaften vergrössert, da deren Ländereien und Besitztümer weiter beschlagnahmt worden seien und die systematischen Schikanen und Angriffe durch die israelischen Siedler zugenommen hätten. Allerdings heisst es auch, dass die Situation für die palästinensische Bevölkerung durch die «schwerwiegenden Versäumnisse der palästinensischen Behörden, einschliesslich der Repressalien gegen Oppositionsführer und des Mangels an rechtlicher und demokratischer Rechenschaftspflicht» noch verschlimmert werde.

Friede braucht Regeln

Die Situation könne letztlich nicht mit Gewalt, sondern nur mit friedlichen Mitteln in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht gelöst werden. Dabei bekräftigte die ÖRK-Versammlung «den rechtmässigen Platz des Staates Israel in der Gemeinschaft der Nationen und erkennen seine legitimen Sicherheitsbedürfnisse an». Gleichzeitig wird «das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung» unterstrichen. «Wir sind der Überzeugung, dass nur durch ein Ende der Besatzung und eine gerechte, umfassende und dauerhafte Friedensregelung die Sicherheit sowohl der Palästinenser als auch der Israelis gewährleistet werden kann.»

Die Jugend begehrt auf

Angesichts der Festlegung von Grösse und Zusammensetzung des aus 150 Personen bestehenden Zentralausschusses für die kommende achtjährige Periode 🔗begehrte «die Jugend» auf. Sie legten eine von 38 jungen Mitgliedern der Vollversammlung, darunter zwölf Delegierte und neun Berater:innen, unterschriebene Erklärung vor. Als Angehörige der Generation, die von den aktuellen und kommenden Entwicklungen im Blick auf Klima und Gesellschaft betroffen ist, und im Blick auf die weltweiten Zahlen junger Menschen forderten sie deutlich mehr Beteiligung und Stimmen in diesem ÖRK-Leitungsgremium.

Anliegen sollen berücksichtigt werden

Kurzfristig und mit sofortiger Wirkung für die jetzige Zusammensetzung des Gremiums sei das nicht mehr möglich, erklärte Agnes Abuom, die Vorsitzende des Zentralausschusses. Sie sicherte aber zu, dass dieses Anliegen in den kommenden Beratungen des Zentralausschusses aufgenommen und für die künftige Zusammensetzung berücksichtigt werde. Entsprechend der Statuten könnten Änderungen aber frühestens bei der nächsten Vollversammlung beschlossen werden.

Der sich mit Grundsatzfragen des ÖRK befassende Ausschuss stellte fest, dass die Jugend in allen Kommissionen, Ausschüssen, beratenden Gruppen und Referenzgruppen des ÖRK voll einbezogen werden muss, dass aber auch einige Mitgliedskirchen offensichtlich zögern, junge Menschen für den Zentralausschuss und andere Ausschüsse zu nominieren.

Fünfzehn Methodist:innen im ÖRK-Leitungsgremium

Dem 150-köpfigen Zentralausschuss gehören fünfzehn Personen aus der methodistischen Kirchenfamilie an, darunter zwei aus der United Methodist Church (UMC): Bischöfin Sally Dyck, die Ökumenebeauftragte des internationalen Bischofsrats der UMC, sowie die in Edmonds im US-Bundesstaat Washington wirkende Gemeindepastorin Ann Jacob. Der Zentralausschuss ist das höchste Leitungsgremium des ÖRK in der Zeit zwischen den Vollversammlungen und tagt alle zwei Jahre. Er führt die von der Vollversammlung angenommenen Richtlinien aus, beaufsichtigt und leitet die Programmarbeit und beschliesst den Haushalt. Die ÖRK-Vollversammlungen finden in der Regel alle acht Jahre statt. Wo die nächste Vollversammlung stattfinden wird, stand zum Ende der Karlsruher Tagung noch nicht fest.

Neuer Generalsekretär

Der bereits im Juni dieses Jahres gewählte neue Generalsekretär wandte sich zum Schluss der Tagung mit einer Rede an die Mitglieder der Vollversammlung. Der aus Südafrika stammende Jerry Pillay, derzeit noch Dekan der Fakultät für Theologie und Religion an der Universität Pretoria, ist Mitglied der Presbyterianischen Unionskirche im südlichen Afrika. Der 57-Jährige wird am 1. Januar 2023 den geschäftsführenden Generalsekretär Ioan Sauca ablösen. Dieser hatte im April 2020 übergangsweise die vakante Position übernommen, weil der damalige Generalsekretär Olav Fykse Tveit zum Leitenden Bischof der Kirche von Norwegen ernannt worden war.

Überhörten Stimmen Raum geben

Pillay betonte seine Vision, dass die ÖRK-Mitgliedskirchen und deren Partner alle zusammenarbeiten, um der Welt «die frohe Botschaft von der Erlösung und dem Leben in Christus zu verkündigen». Ausserdem müsse der ÖRK weiterhin und noch viel mehr den «Stimmen der Marginalisierten und Vernachlässigten» Gehör verschaffen, damit nicht der wirtschaftliche Einfluss oder die Macht und Autorität einzelner Kirchen ausschlaggebend seien, sondern eine Kultur der Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung geschaffen werde. In Organisationen übernähmen normalerweise die Mächtigen das Kommando und die Kontrolle. Im biblischen Sinne müsse Demut und das Selbstverständnis Jesu, Diener zu sein, zum Vorbild genommen werden. Deshalb stelle er sich einen ÖRK vor, «der nicht nur sichere Räume schafft, sondern auch Räume, in denen Marginalisierte gleichberechtigt sind und in denen die Stimmen von Vernachlässigten von der Gemeinschaft gehört, geachtet und gewürdigt werden».

Klaus Ulrich Ruof, emk.de
Beitragsbild: Dr. Agnes Abuom erklärt die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen für offiziell beendet. (Foto: Albin Hillert, WCC)

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Methodistische Delegation

Die Delegation der weltweiten Methodistenkirche, der United Methodist Church, an die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen bestand aus dreizehn Personen. (L = Laiendelegation; P = pastorale Delegation; v.l.):
Byrd Bonner (L, Texas/USA); Bischof Harald Rückert (P, Berater der Delegation, Deutschland); Bischof Gaspar Domingos (P, Angola); Pastorin Ann Jacob (L – zwischenzeitlich im pastoralen Dienst, Jugend, Washington/USA); Paul Gomez (L, Jugend, Arizona/USA); Bischöfin Mary Ann Swenson (P, stv. Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses, Kalifornien/USA); Pastor Joshua Swanson (L, Georgia/USA); Pastorin Dr. Jean Hawxhurst (P, Beraterin der Delegation, Kentucky/USA); Bischöfin Sally Dyck (P, Kalifornien/USA); Pastorin Jessica Lowe (P, Jugend, Louisiana/USA); Pastorin Sarah Bach (L – zwischenzeitlich im pastoralen Dienst, Jugend, Schweiz); Roland Fernandes (L, Georgia/USA); Pastorin Dr. Connie Mella Semy (P, Philippinen).

Der ökumenische Rat der Kirchen

Bei dem Karlsruher Ökumene-Gipfel hatten rund 3000 Teilnehmer:innen aus 120 Ländern vom 31. August bis zum 8. September neun Tage lang über die künftige Ausrichtung der Ökumene beraten. Der 🔗Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von 352 Kirchen, die weltweit zusammen über 580 Millionen Christ:innen vertreten. Die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied, hat aber Beobachterstatus. Dieser grösste ökumenische, weltweite Verbund hat seinen Sitz in Genf und wurde am 23. August 1948 in Amsterdam gegründet.