«Ich stehe dem nur nicht im Weg!»
14. März 2023
In einer neuen Folge des Videoformats #MethodistInMission spricht Michael Hari mit Pfarrer Stefan Moll nicht nur über seine beiden sehr verschiedenen Kirchgemeinden. Er lotet auch aus, was Stefan Moll fähig macht, Kirche so unkonventionell neu zu gestalten – und was das grundsätzlich für die Zukunft von Kirche heissen könnte.
Für zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Kirchgemeinden ist Methodistenpfarrer Stefan Moll zuständig. In der 🔗methodistischen Gemeinde in Baden feiern Menschen mit unterschiedlicher nationaler, kultureller und religiöser Prägung gemeinsam Gottesdienst. Und als 🔗«Schlagerpfarrer» hat er eine überwiegend «virtuelle» Gemeinde, die er über Beiträge im Fernsehsender 🔗Musig24 anspricht. Michael Hari, der im Bereich Kommunikation der methodistischen Kirche in der Schweiz das Projekt «hybride Kirche» vorantreibt, stellt Stefan Moll in einer neuen Folge des Videoformats #MethodistInMission vor.
Die Rettung für die Kirchgemeinde
Die methodistische Kirchgemeinde in Baden sei gewesen wie viele andere, erzählt Stefan Moll. «Wir hatten unsere Abläufe, zwei oder drei Problemfelder, liebenswerte Leute. Alles läuft immer ein wenig ähnlich.» Doch dann kamen die Migrant:innen dazu. Menschen aus Eritrea, Äthiopien, dem Irak. Christ:innen, Musliminnen und Muslime, Hindus. «Ich sage es offen: Das hat unsere Gemeinde vor sich selbst gerettet.» Dass diese Leute gekommen sind, habe die Gemeinde verändert. Alles sei in Bewegung gekommen.
Seither gibt es in der methodistischen Gemeinde in Baden wieder viel mehr Kinder und Teenager. Bis zu 25 Kinder kommen nun an Sonntagen. Und über die Teemager sagt Stefan Moll: «Engagierte junge Leute, die Kirche wollen – selbst wenn sie aus anderen Religionen kommen.»
Kirche auf Augenhöhe
Natürlich gebe es auch Herausforderungen. Ein grosses Thema sei die Pünktlichkeit, sagt Stefan Moll. «Wenn wir sagen: Der Gottesdienst fängt um 10 Uhr an! Dann fangen wir um 10 Uhr an.» Doch es gebe immer Leute, die erst später kommen. «Daran haben sich alle erst gewöhnen müssen.»
Für ihr Miteinander haben die Methodist:innen in Baden den Grundsatz: «Wir sind Kirche auf Augenhöhe.» Ein Oben und Unten wollen sie bewusst vermeiden. «Das hat ziemlich gut funktioniert. In den letzten beiden Jahren scheint es mir wieder schwieriger», sagt Stefan Moll. Die Leute lernen sich besser kennen – und nehmen darum auch die Unterschiede besser wahr. «Eine Zeitlang dachten wir, dass wir die ‹umschiffen› könnten. Jetzt merken wir: Wir müssen einander sehr gut zuhören. Wir brauchen lange, bis wir einander wirklich verstehen.»
Hoffnung von der Kirche
Die zweite Gemeinde, für die Stefan Moll zuständig ist, ist die «Schlagerfamilie». Stefan Moll schildert, wie es dazu kam: «Marcello Alexander vom Sender Musig24 sagte mir: ‹Ich werde einen Live-Fernsehsender starten mit 24-Stunden-Programm.›» Und er suchte jemanden, der seinen Zuschauer:innen «etwas Hoffnungsvolles von der Kirche her» weitergibt. Stefan Moll liess sich auf die Anfrage ein.
Der Start mit einem Andachtsformat blieb unbefriedigend. Mit dem Stammtisch – einer Live-Sendung, bei der Zuschauer:innen zu bestimmten Themen anrufen und mitsprechen können – entstand ein neues Format. In der Coronazeit wurden erste Gottesdienste aufgenommen. Nach dem Lockdown wurden die wieder eingestellt.
Dann geschah etwas bemerkenswertes: «Leute aus der Schlagerszene haben Unterschriften gesammelt dafür, dass es weiter Gottesdienste gibt.» Also haben Stefan Moll und seine Mitstreiter:innen weiter gemacht. Etwa 30 000 bis 50 000 Personen schauen diese Gottesdienste auf Musig24 an.
Nicht im Weg stehen
So unterschiedlich beide Gemeinden sind, in beiden gehe es zentral um Integration. «Ausserdem haben wir in beiden Gemeinden Leute, die sich als benachteiligt sehen oder in schwierigen Lebenssituationen befinden.»
Was ist das Geheimnis, dass es Stefan Moll gelingt, so unterschiedliche Kirchgemeinden aufzubauen? Wie genau macht er das? «Ich muss zunächst ganz klar sagen: Das mache ich gar nicht. Ich stehe dem nur nicht im Weg!» Entscheidend sei jedoch einen Moment lang «wach» zu sein – «und wenn uns Gott den Ball zuspielt, fangen und das nehmen, was da ist.»
Von Kirchen und Skiliften
Und dann spricht Stefan Moll darüber, weshalb er derart offen ist – und warum er dafür lieber keine Grenzen setzen will. Er erzählt, warum Menschen, die ganz anders sind, für ihn wichtig und bereichernd sind. Und er benennt, welcher Mangel seiner Meinung nach in sehr vielen Kirchgemeinden herrscht.
Stefan Moll möchte die Krise ernst nehmen, in die die Kirchen kommen – und auch die Verzweiflung, die in vielen Gemeinden herrsche. «Man kann das nicht einfach mit Hoffnung zudecken.» Er vergleicht die Kirchen mit den Skiliften – vor dem Hintergrund der Erfahrungen im vergangenen, sehr schneearmen Winter. «Es zeichnet sich ab, dass gut die Hälfte der Skigebiete schliessen müssen.» Alle Marketingmassnahmen und neuen Angebote würden das auf Dauer nicht verhindern. «Das ist vergleichbar mit der Situation der Kirche.»
Was vergeht – und was bleibt
Wichtig sei darum eine grundlegend neue Ausrichtung: «Der Skilift wird nicht bleiben. Aber der Berg. In den Bergen kann man nicht nur Skifahren, sondern auch wandern, Stauseen bauen …» Mit den Kirchen sei es ähnlich. «Das Ja Gottes zu den Menschen – das bleibt. Christus unter uns – das bleibt. Das ist unverrückbar. Ob der Skilift noch fahren wird? Ob es Kirchgemeinden im klassischen Sinn an allen Orten geben wird? Da bin ich nicht so sicher! Das ist ein Abschied, das schmerzt. Doch da gibt es auch viele Wiesen, auf denen Neues blühen kann.»