«Wir hatten nicht die Idee, ein Öko-Hotel führen zu wollen»
21. März 2023
«Klimafreundlich» oder «klimaneutral» ist für viele Unternehmen zu einem wichtigen «Label» geworden. Urs Bangerter, Methodist und ehemaliger Hoteldirektor, gehörte vor über 30 Jahren in seiner Branche zu den Pionieren.
«Wenn ich das Hotel Bethanien noch leiten würde, dann wäre Greta Thunberg bei ihrem Besuch am World Economic Forum sicher Gast gewesen bei mir und uns», sagt Urs Bangerter. Der ehemalige Direktor des Hotel Bethanien in Davos gehört zu den Pionieren der nachhaltigen Hotellerie. Zusammen mit Mitstreiter:innen hat er ein Ökolabel entwickelt, das die Nachhaltigkeit von Hotelbetrieben vergleichbar macht.
Pioniere ausgezeichnet
Das zunächst auf Graubünden beschränkte «Steinbock-Label» wurde weiterentwickelt und wird seit inzwischen 25 Jahren als «ibex fairstay»-Label vergeben. Aus Anlass des Jubiläums waren die Pioniere dieser Arbeit, zu denen auch Urs Bangerter gehört, 🔗am 6. März nach Abtwil eingeladen.
Ein wichtiger Anstoss
«Angefangen hat alles schon viel früher», erzählt Urs Bangerter. Die Anfänge verbinden sich mit dem Hotel Bethanien in Davos, dessen Leitung Urs Bangeter seit 1987 (zusammen mit seiner Frau Ruth) übernahm. Dieses wurde am 17. Juni 1987 eröffnet. «Drei Tage davor hat sich bei uns der Direktor der Molkerei Davos vorgestellt: Ruedi Alder.» Er hatte damals neu die Leitung der Molkerei in Davos übernommen und vieles im Sinne einer ökologischeren Ausrichtung umgestellt. «Ruth und ich hatten nicht die Idee, ein Öko-Hotel führen zu wollen», sagt Urs Bangerter. Doch das Gespräch mit Ruedi Alder habe etwas angestossen.
Keimzelle «Davoser Frühstück»
Auch der christliche Glaube verband das Ehepaar Bangerter mit Ruedi Alder. In weiteren Gesprächen entstand die Überzeugung, gemeinsam einen Beitrag zur «Bewahrung der Schöpfung» leisten zu wollen. Es entstand das von Ruedi Alder ins Leben gerufene «Davoser Frühstück» – und mit ihm ein Netzwerk von Gleichgesinnten.
Post für Davoser Bauernbetriebe
«Bald darauf haben Ruth und ich allen Bauern in Davos einen Brief geschrieben und ihnen gesagt, dass wir künftig für das Hotel Bethanien gerne bei ihnen Fleisch kaufen würden.» Voraussetzung sei allerdings, dass die Betriebe mit der «Bio-Knospe» zertifiziert seien. «Das traf damals für keinen der rund 100 Bauernbetriebe in der Landschaft Davos zu», erinnert sich Urs Bangerter. Doch nach und nach sei so eine regionale Kreislaufwirtschaft entstanden, bei der im Hotel Bethanien dann Davoser Milch ausgeschenkt, Eier von den Bauern aus Davos serviert und Fleisch von Davoser Biobetrieben zubereitet wurde.
Ein Verein entsteht
Mit dem Austausch am «Davoser Frühstück» gewann das Engagement an Struktur. Ruedi Albonico, eine zeitlang als Dozent an der HSG tätig, leitete damals in Fanas ebenfalls ein kleines Hotel. Mit ihm zusammen sei die Idee entstanden, den «Verein Ökomarkt Graubünden» zu gründen, erzählt Urs Bangerter. «Der Hotelier-Verein zeichnet seine Hotels mit Sternen aus. Wir wollten die Hotels, die sich im Bereich der Nachhaltigkeit engagieren, ebenfalls auszeichnen.» In Graubünden sei es naheliegend gewesen, dafür den Steinbock zu wählen. Ein Öko-Hotel konnte mit bis zu fünf Steinböcken ausgezeichnet werden.
Schweizweit vergebenes Label
Der Verein «Ökomarkt Graubünden», dessen Gründungspräsident Urs Bangerter war, wurde zum über Graubünden hinaus tätigen «Verein Ö+». Das «Steinbock-Label» wurde zu 🔗«ibex fairstay» – heute das führende Nachhaltigkeitslabel in der Beherbergungsbranche. Hotels und Hostels, Campingplätze und inzwischen auch Ferienwohnungen können mit dem Label zertifiziert werden. Die Jugendherbergen in der Schweiz sind alle mit «ibex fairstay»-zertifiziert.
Vernetzt denken und handeln
In damals aussergewöhnlicher Weise hatten Urs Bangerter und seine Mitstreiter:innen begonnen, regional vernetzt und ökologisch nachhaltig zu wirtschaften. «Als Hotel in Davos haben wir ja unseren Gästen die Landschaft Davos verkauft», erläutert Urs Bangerter. «Die Landschaft musste gepflegt werden.» Diese Aufgabe hätten schon lange die Bauernbetriebe in der Landschaft Davos übernommen. «So entstand die Idee eines Kreislaufs: Sie unterstützen uns, indem sie die Landschaft Davos pflegen. Wir unterstützen sie, indem wir ihnen ihre Produkte abkaufen.»
«Erzeuger» in Sichtweite
Hin und wieder sei er von Gästen im Speisesaal seines Hotels angesprochen worden, erinnert sich Urs Bangerter: «Sie, Herr Bangerter, das Beefsteak ist so fein und köstlich. Woher kommt das?» In der Regel wären dann als Herkunftsland Argentinien oder Brasilien genannt worden. Anders bei Urs Bangerter. Er hat seine Gäste zu einem Fenster mitgenommen und ihnen einen Hof gezeigt: «Sehen Sie dort oben am Waldrand den Bauernhof? – Dort droben ist das Rind aufgewachsen, von dem das Fleisch kommt.» Das habe grosses Staunen ausgelöst.
Rechnet sich das?
Verwundert reagiert haben auch Verantwortliche aus anderen Hotels. «Wenn ich in der damaligen Zeit mit Kollegen darüber gesprochen habe, dass ich Davoser Milch oder Davoser Fleisch habe, dann haben die mir gesagt: ‹Du spinnst ja! Das vermagst du doch nicht! Das rechnet sich doch nie!›» Über die Jahre hinweg habe sich jedoch gezeigt, dass das Hotel Bethanien eine sehr gute «Küchenrendite» hatte.
Nachhaltige Wirkung
Das Hotel Bethanien ist Vergangenheit. Urs Bangerter ist, nachdem er zuletzt das 🔗«Alterszentrum «Haus Tabea» in Horgen geleitet hat, längst im Ruhestand. Doch was er, mit anderen Vordenker:innen zusammen, in Davos angestossen hat, wirkt weiter. Das Anliegen hat seither eher noch an Dringlichkeit gewonnen.