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Bild: Gemeindewochenende der MEthodisten in Romanshorn

«Das ist uns wie vor die Füsse gefallen»

7. Oktober 2023

«Wir sind eine kleinere Gemeinde mit vielen älteren Personen», sagt Pfarrerin Esther Brüllmann. Dennoch sind in der methodistischen Kirchgemeinde in Romanshorn seit einem Jahr eine ganze Reihe von diakonischen Angeboten entstanden.

«Angefangen hat alles mit der Brocki-Woche im Herbst 2022», erzählt die methodistische Pfarrerin. Diese Woche war eigentlich als Abschluss geplant. Denn in der Vergangenheit hatten die Methodist:innen in Romanshorn jedes Jahr einen Flohmarkt durchgeführt. Doch der stiess auf immer weniger Interesse.

Planänderung

«Als ich 2019 nach Romanshorn kam, hiess es darum: Wir machen noch einen letzten Abverkauf. Danach schliessen wir das Thema Flohmarkt ab.» Dann kam die erste Planänderung: Die Corona-Pandemie machte eine Durchführung unmöglich. Die Zwangspause ermöglichte es, die Idee noch etwas zu entwickeln. Ein grösseres Projekt entstand.

«Für zwei Wochen haben wir dann die Kirche umgeräumt und zu einem Brockenhaus umgestaltet.» Damit die Brocki attraktiv ist, sammelte die Kirchgemeinde noch einmal intensiv alte Dinge, die verkauft werden konnten. «Wir haben ausserdem ein Café eingerichtet und ein Rahmenprogramm organisiert.» Ein Konzert, Reiseberichte und ähnliches.

Wie ein Stück Heimat

Als Zielpublikum im Blick hatten die Methodist:innen Brocki-Liebhaber:innen und die Bezüger:innen der Organisation «Tischlein deck dich». Immer am Freitagnachmittag können Leute in den Räumen der methodistischen Kirche Lebensmittel beziehen. Christine Schorro, die zur methodistischen Gemeinde gehört, organisiert dieses Angebot in Romanshorn. Die Helfer:innen kommen zum Teil aus der methodistischen Gemeinde oder sonst aus Romanshorn und Umgebung.

«Die Brocki lief sehr gut», sagt Esther Brüllmann. «Hier ist es so schön, hier würde ich am liebsten wohnen», habe eine Kundin des «Tischlein deck dich» am Ende gesagt. Sie hatte während der ganzen Woche immer wieder vorbeigeschaut. «Das bringt zum Ausdruck, wie wohl es manchen Leuten war.»

Ein Projekt zieht Kreise

Den Schwung aus diesem ermutigenden Projekt nahmen die Verantwortlichen der Gemeinde mit. «Wir hatten die Idee, dass wir parallel zum ‹Tischlein deck dich› ein Café anbieten.» Dort sollten die Leute für einen symbolischen Beitrag einen Kaffee und ein Stück Kuchen bekommen – und vor allem offene Ohren finden, die zuhören.

Die Einladung wurde dankbar angenommen – und führte dazu, dass ein weiteres Angebot entstand. Unter den Bezüger:innen des «Tischlein deck dich» sind auch Ukrainerinnen, die in die Schweiz geflohen sind. «Die sagten zu uns: ‹Wir lernen zwar intensiv Deutsch. Doch wir haben kaum Kontakte zu Leuten. Wir können das gar nicht üben!›»

Jürg Schorro, der Mann von Christine Schorro, habe das Anliegen aufgenommen: «Das können wir doch ganz einfach ändern» sagte er. «Wir haben Leute, die Deutsch als Muttersprache haben. Schaffen wir doch ein Gefäss!»

Freundschaften entstehen

Auf diese Weise entstand der «Mittwochstreff». Jeweils um 18 Uhr beginnen diese Treffen mit einem Abendessen. «Die Leute aus der Ukraine bringen etwas, wir bringen etwas – und dann wird geteilt», sagt Esther Brüllmann. An den Tischen entstünden dabei Kleingruppen, in denen die Ukrainer:innen und Leute aus der methodistischen Gemeinde miteinander ins Gespräch kommen. «So sind inzwischen gute Beziehungen und Freundschaften entstanden.»

Nach dem Essen folgt ein kurzer Input. Die Themen seien vielfältig: Kulturelles, Informationen zum Schul- und Bildungssystem in der Schweiz, zu Schweizer Sportarten oder zu Schweizer Musik. «Einmal stellte eine Frau aus der Ukraine mit einer grossartig gemachten Präsentation ukrainische Osterbräuche vor.»

Deutsch lernen im Coop

Aus dem Mittwochstreff ergab sich eine nächste Herausforderung. «Einige hatten das Anliegen, dass sie gerne Gelerntes aus den Deutschkursen nachbesprechen oder aufarbeiten wollten.» Wieder nahm Jürg Schorro den Faden auf.

Am Donnerstagvormittag trifft er diese Personen im Coop-Restaurant. «So etwa im Stundentakt kommen dann Leute, die mit ihm ihre Hausaufgaben besprechen oder Beiträge im ‹20min› lesen und darüber mit ihm sprechen.»

Brücken bauen

Unterdessen ist eine ganze Gruppe der methodistischen Kirchgemeinde in diesen Anlässen aktiv. Auch die anderen Leute aus der Gemeinde fänden aber mehrheitlich gut, was sie machen, sagt Esther Brüllmann. Und die Verantwortlichen haben sich auch Gedanken gemacht darüber, wie die unterschiedlichen Formen, in denen die Methodist:innen in Romanshorn Kirche leben, miteinander in Kontakt kommen können.

Einmal im Monat findet im Anschluss an das Angebot von «Tischlein deck dich» am Abend eine Freitagabendfeier statt. «Das ist der Sonntagsgottesdienst, den wir auf den Freitagabend verschoben haben», erklärt Esther Brüllmann. Dabei gehe es vor allem darum, Gemeinschaft zu erleben. «Beim Mittwochstreff und beim ‹Tischlein deck dich› laden wir dazu jeweils herzlich ein.»

Gemeinschaft erleben

Einen ersten Fixpunkt bildet ein einfaches Abendessen, zu dem Leute ab 18 Uhr kommen können. Ab 19 Uhr folgt eine schlichte gottesdienstliche Feier. Um 19:45 Uhr wird gemeinsam gespielt.

«Jeder Teil kann unabhängig vom anderen besucht werden.» Niemand müsse in den Gottesdienst, nur weil sie oder er beim Abendessen dabei war. Ebenso müsse niemand in den Gottesdienst, wenn sie oder er gerne spielt. Und Leute könnten auch einfach nur den Gottesdienst mitfeiern.

«Das funktioniert gut.» Immer wieder nähmen auch Gäste an den gottesdienstlichen Feiern teil. Einige Leute aus der methodistischen Gemeinde kämen nur zum Gottesdienst und gehen danach wieder heim. «Das ist der Ort, an dem wir versuchen, Freitagscafé und Mittwochstreff mit der Gemeinde zu verbinden.» Das sei eine Herausforderung. «Aber es gelingt auch immer wieder.»

Kirche: essen, feiern, spielen
Vom 8. bis 10. September hatte die methodistische Gemeinde Romanshorn ein Gemeindewochenende geplant. Die Verantwortlichen entschieden: Wir wollen auch den Gästen aus dem Mittwochstreff und der Freitagabendfeier die Teilnahme ermöglichen. Die Methodist:innen machten mit. Viele zahlten aus Solidarität mehr. 41 Personen fuhren mit. 16 von ihnen gehören schon länger zur methodistischen Gemeinde.
Für den «Gemeindebrief» beschrieb Jürg Schorro die Erfahrungen so:
«‹Wo Menschen im Namen Jesu zusammen essen, ist Kirche.› Dieser Gedanke des neuen Bischofs wurde am Wochenende mit 41 verschiedenen Teilnehmenden intensiv erlebt. (…) Wir lebten Gemeinschaft beim intensiven Spielen, gemeinsam Gottesdienst feiern, Besuch von Napoleonmuseum, Schlosspark und Turm und vielen spontanen Gesprächen bei feinen Essen. Diese wunderbaren Begegnungen bei strahlendem Wetter liessen uns Kirche erleben und machen uns dankbar.»

Kurzzeitferien

Bis sie in einen anderen Teil der Schweiz weggezogen ist, habe an diesen Freitagabendfeiern regelmässig eine Kundin des «Tischlein deck dich» teilgenommen. «Die war eine super Jasserin!» Und sie fand am Freitagabend ebenbürtige Mitspieler:innen. «Auf hohem Niveau wurde da ‹geschieberet›!»

Diese Frau habe einmal an einem solchen Abend gesagt: «Wenn ich so konzentriert mit euch zusammen sein und jassen kann, dann ist das wie Ferien. Denn dann kann ich alle Schwierigkeiten, die ich sonst erlebe, für einen Moment vergessen.» – «Was wollen wir mehr?», fragt Esther Brüllmann. «Das ist einfach so gut.»

Sie zieht Parallelen zu den Erzählungen von Jesus im Neuen Testament: Der sei mit den Leuten zusammengesessen. «Sie hatten es auch lustig, sonst wäre das Zusammensein mit Jesus nicht attraktiv gewesen. Vielleicht haben die ja auch Spiele gemacht…» Etwas ähnliches werde hier erlebbar. «Das berührt mich. Es ist einfach schön.»

Kirche unterwegs mit den Menschen

Eines hat sich so in Romanshorn aus dem anderen heraus entwickelt. «Das ist uns wie vor die Füsse gefallen», zitiert Esther Brüllmann die knappe und treffende Zusammenfassung der Ereignisse, die Jürg Schorro einmal vorgenommen hatte. Wie lange das weitergehen werde, könne sie nicht sagen. Jetzt aber geht die methodistische Kirchgemeinde in Romanshorn weiter auf ihrem Weg der offenen Türen.

S.F.
Beitragsbild: Gemeinsam essen am Gemeindewochenende. (Foto: zVg, privat)

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