Bezirk
Familie Sinnadurai

Eine wertvolle Lektion gelebter Nächstenliebe

7. April 2021

Über Jahre strahlte ein Dienst der methodistischen Gemeinde in Olten weit über die Kantonsgrenzen hinaus: Der Tamil-Trägerkreis kümmert sich seit Ende der neunziger Jahre um Flüchtlinge aus Sri Lanka. «Herz und Dreh-Angel» dieses sozialen Engagements ist Emmanuel R. Sinnadurai. Nach 32 Jahren zieht der Frührentner mit seiner Familie weiter … nach Kanada. Philipp Hadorn gibt einige persönliche Einblicke in eine bewegte Lebensgeschichte.

«Post it»-Zettel hängen an den Möbeln im Wohnzimmer der Familie Sinnadurai in der Wohnung des Zwei-Familien-Hauses in Olten. Umtriebig erlebte ich den heute 61-jährigen Emmanuel, mit vollem Namen Emmanuel Ranjitkumar Sinnadurai, den ich 1992 kennenlernte. Fast täglich brachte er irgendwelche tamilischen Freunde an unsere Türe, deren Nöte ihn zum Handeln motivierten. Die Fragen zu Asylverfahren, verschiedensten Verträgen, Arbeitsverhältnissen, Gesundheits- und Sozialversicherungen reihten sich fast pausenlos aneinander.

Beginn einer Zusammenarbeit

Mir, dem jungen Familienvater in Zweitausbildung im Jus-Studium, entsprach dieses ehrenamtliche Engagement in der Methodistenkirche in Olten. Der dortigen Gemeindeleitung bot ich an, mich einen Tag pro Woche in der Gemeinde zu engagieren. Das Dossier «Flüchtlinge» mit der «Hauri-Villa», einem Heim für Asylsuchende mit 13 Bewohnenden, wurde mir in die Hände gedrückt.

Dem Bürgerkrieg entflohen

Emmanuel stammt aus Sri Lanka. Die Wirren des Bürgerkrieges führten ihn 1989 in die Schweiz. Kirchlich hat er seine Wurzeln in der anlikanischen Kirche. Im Asylzentrum Zuchwil (SO) erinnerteer sich an die «Methodistenkirche», zu der sich sein Schwager zählte, und fand Kontakt zur Kirchgemeinde in Solothurn.

«Mama Ruth»

Nach «Überweisung» aus dem Asylzentrum begann Emmanuels Wirken in Olten. Während er es sich erlaubte, der leicht aufmüpfigen Rentnerin Ruth Ehrsam in der methodistischen Gemeinde in Olten den «zustehenden Sitzplatz» unbedarft streitig zu machen, erlebte auch diese eine «Horizonterweiterung». Entsetzt über angeblich herumlungernde Asylsuchende reiste die rüstige Rentnerin nach Zürich, beschwerte sich bei diesen direkt über deren «faules Gebaren» und forderte sie auf zu Mithilfe bei Gartenarbeiten in Olten. Und diese kamen, anerboten sich für weitere Hilfsleistungen – und die über 70-Jährige wurde zur «Mama Ruth» der Hauri-Villa und für viele weitere Tamilen.

Integration mit Support

Emmanuel war innert kurzer Zeit bestens vertraut mit der Diaspora aus Sri Lanka in der Region. Vernetzt durch die methodistische Gemeinde mit vielen Schweizer/innen lernte er selbst rasch die Gepflogenheiten unseres Landes und gab seinen Landsleuten diesen Integrations-Support. Natürlich gehörte dazu auch die Vermittlung von Dienstleistungen jeglicher Art. Er begleitete Landsleute auf Ämter, diente als Dolmetscher und war mir eine Vertrauensperson, die mir die Durchführung zahlreicher Beschwerden in Asylverfahren überhaupt erst ermöglichte.

Parship in Tamil-Fashion

Dank Emmanuel erfolgten viele «Familienzusammenführungen». Geglückten Einreisen in die Schweiz ging oft «Emmanuels Partnervermittlung» voraus. Auch einige Schweizer Paare gehen auf seine Vermittlung zurück.

Bewegte Geschichte

Die Familie Sinnadurai sieht in ihrer bewegten Migrationsgeschichte Segensspuren: Als Bautechniker in Sri Lanka arbeitete Emmanuel in der Schweiz in der Gastrobranche, erst als Küchenhilfe, dann als Hilfskoch. Nach zehn Jahren folgten acht Jahre in der Fertigung von Präzisionswerkzeugen. Der Konkurs der Firma liess ihn zehn Monate Arbeitslosigkeit erleben bis er Mitte 2010 in die ETA SA (Swatch Group) in Grenchen als Operateur eintrat, wo er nun coronabedingt ein Angebot zur Frühpensionsierung erhielt.

Kirchlich breit vernetzt

Zur Heirat konnte 1996 die Tamilin Ruth Mathivathany aus Kanada einreisen. Mit der Geburt von Samuel (1999) und Tabita (2003) vervollständigte sich die Familie. Ruth fasste ebenfalls beruflich Fuss. Neben ihrer Arbeit als «Familienfrau» war sie auch als Mitarbeiterin bei der Waldspielgruppe und später als Kindererzieherin bei Akadis in Olten tätig. In all den Jahren war die Familie Sinnadurai in christlichen Gemeinden der tamilischen Gemeinschaft engagiert. Aber auch die Kontakte zu den Schweizer Kirchen hielten sie immer aufrecht.

Auswanderung zum Zweiten

Das unerwartete Angebot der Frühpensionierung ermöglicht der Familie Sinnadurai ein Zusammenrücken der Familie: Geschwister von Ruth und Emmanuel leben in Kanada, für Samuel und Tabita verspricht sich die Familie bessere Zukunftschancen im traditionellen Einwanderungsland. So gilt es Abschied zu nehmen – aus der «Zwischenheimat» nach 32, 25, 22 und 18 Jahren in der Schweiz.

Herberge in Sicht?

Samuel und Tabita werden in Kürze die Schulbank drücken, nach Intensiv-Englisch ist Ausbildung angesagt. Die Verwandtschaft, aber auch der Plan, Gäste aus der Schweiz durch Kanada zu führen und umgekehrt, stimmt zuversichtlich, rasch in Kanada Fuss zu fassen. Die Rolle als Gastgeber, auch für Sprachstudierende, scheint der Familie auf den Leib geschrieben.

Dank sagen

Familie Sinnadurai hat das Bedürfnis Danke zu sagen – all den Menschen, die zu ihrem sicheren und würdigen Leben in der Schweiz beigetragen haben. Die Methodistenkirche, ich und viele andere, haben Grund, Emmanuel und seiner Familie Danke zu sagen – für eine wertvolle Lektion gelebter Nächstenliebe und einen erfüllten Auftrag. Gottes Segen auf der nächsten Etappe, Familie Sinnadurai!

Philipp Hadorn
Beitragsbild: Philipp Hadorn (zVg)

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Der Verfasser

 

Philipp Hadorn

Philipp Hadorn leitet den Tamil-Trägerkreis Olten seit 1992, verheiratet mit Karin, Vater von drei erwachsener Söhne. Er wirkt als  Zentralsekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, Präsident vom Blauen Kreuz Schweiz und war 2011 – 2019 Mitglied des Nationalrates (SP SO). Seit 1995 lebt er in Gerlafingen, wo er sich auch in der methodistischen Gemeinde engagiert.