Bezirk

«Diese Gleichwertigkeit möchte ich einfordern»

7. September 2021

Kann es gelingen, in sexualethischen Fragen in einer Kirche traditionelle und liberale Positionen miteinander zu leben? Die Methodist:innen in der Schweiz machen sich auf diesen Weg.

An der Jährlichen Konferenz (Synode) im Juni hatten die Methodist:innen in der Schweiz, Frankreich, Nordafrika und Belgien 🔗über das «Szenario Kaleidoskop» diskutiert. Dieses war von einer Arbeitsgruppe als Modell vorgeschlagen worden, wie die Einheit der Methodistenkirche im Gebiet der Jährlichen Konferenz bewahrt werden kann, obwohl in der Beurteilung von Fragen der menschlichen Sexualität unterschiedliche Einschätzungen zu finden sind.

Auf einen an der Tagung 🔗angenommenen Antrag hin wurde 🔗Stefan Schnegg als Koordinationsperson für Methodist:innen mit einer traditionellen Sicht benannt. Im Gespräch gibt er Einblicke in seine Aufgabe und seine Vorstellung davon, wie die Methodistenkirche in der Schweiz künftig aussehen könnte.

Stefan, warum braucht es so eine Koordinationsperson?

Die Methodistenkirche in Deutschland hat entschieden, für Leute mit einer traditionellen Haltung 🔗einen «Gemeinschaftsbund» zu gründen. Zugespitzt formuliert: Die EmK in Deutschland bleibt liberal. Die, die eher traditionell denken, werden in den Gemeinschaftsbund ausgelagert. – In der Schweiz haben wir entschieden: Das wollen wir nicht. Wir lassen beide Positionen gleichwertig nebeneinander stehen und versuchen, ein Miteinander zu leben.

Dabei haben wir gemerkt: Das passiert nicht von selbst. Wir müssen das organisieren. Das traditionelle Denken muss genauso gefördert werden wie das liberale. Von selbst passieren nur solche Sachen wie 🔗beim letzten «Kirche und Welt», als nur noch das Pro «Ehe für alle» vorkam. Das darf nicht mehr passieren!

«Das traditionelle Denken muss genauso gefördert werden wie das liberale.»

Oder wie können wir sicherstellen, dass, wenn es zum Beispiel in Zukunft Dienstzuweisungen gibt in Gemeinden, die eher traditionell sind, wir dafür auch eine Anzahl von traditionellen Pfarrern haben, die dazu passen? – Damit das Miteinander wirklich gelebt werden kann in einer Koexistenz, bei der nicht die einen versuchen, die anderen zu überzeugen, müssen wir das organisieren.

Das hat Konsequenzen bis in die Zentralen Dienste, bis zu Dienstzuweisungen, bis zu Ausbildungen. Wie kommunizieren wir zum Beispiel? Auch gegen aussen! Damit wir nicht nur als liberale Kirche wahrgenommen werden, sondern auch das andere Element leben können?

Diese Gleichwertigkeit möchte ich darum auch einfordern. Denn aus der Sicht der Traditionellen entsteht der Eindruck: Die Kirche wird immer liberaler. Mit jedem Thema machen wir eine Tür mehr auf.

Was ist in diesem Prozess Deine Aufgabe?

Meine Aufgabe ist sicherzustellen, dass wir als Kirche die traditionellen Überzeugungen, die bei vielen unserer Leute an der Basis als wertvolles Glaubensgut vorhanden sind, im Rahmen des «Szenario Kaleidoskop» weiterhin fördern und unterstützen und weiterentwickeln.

Dazu organisieren wir als nächstes 🔗am 27. November in Biel ein Treffen. Der Tag wird von einem Team vorbereitet. Auch Bischof Patrick Streiff wird am Treffen mit dabei sein, wird mitdiskutieren und ist für Fragen offen.

«Aus der Sicht der Traditionellen entsteht der Eindruck:
die Kirche wird immer liberaler.»

Dort werden wir uns miteinander Gedanken darüber machen: Was heisst das, wenn im Rahmen des «Szenario Kaleidoskop» das traditionelle Glaubensgut in unseren Gemeinden soll gelebt werden können? Was ist den Leuten wichtig? Worauf müssen wir in all diesen Fragen achten? Wie sieht der weitere Weg aus? – Und dieser Weg ist ein Weg innerhalb unserer Kirche.

Ist das auch eine Grenze dessen, was möglich ist? Unterwegs sein kann man nur mit Leuten, die sagen: «Jawohl, wir wollen innerhalb dieser Kirche weiter unterwegs sein!»

Das kann doch im Moment niemand sagen: «Ich möchte um jeden Preis in der EMK bleiben.» – Weder von den Liberalen noch von den Traditionellen! Die Leute wollen sehen: Wie wird das nachher gelebt? Was hat das für Konsequenzen? Wie sieht das Modell aus?

Wir müssen doch versuchen, den Leuten Sicherheit zu geben, die das Gefühl haben, ihnen würden die Felle davon schwimmen. Damit sie, wenn es dann an der Jährlichen Konferenz zur Abstimmung über das «Szenario Kaleidoskop» kommt, wissen können: «OK, aus Sicht der Traditionellen heisst das konkret das und das.»

Warum hast Du diese Aufgabe übernommen?

Ich bin im Vorstand. Das traditionelle Glaubensgut ist mir ein wichtiges Anliegen. Ich finde es wichtig, dass wir uns an biblischen Aussagen orientieren, die uns Hinweise geben, wie wir uns gegenüber der Welt verhalten sollen. Wenn jetzt die ganze «woke» Gesellschaft in eine bestimmte Richtung geht, kann es durchaus sein, dass wir einmal einen Gegenakzent setzen und sagen: «Hey, Leute! Es ist nicht einfach alles immer so, wie wir es gerne aus unserem Individualismus heraus wollen. Es gibt vielmehr Dinge, die Gott wichtig sind.»

Ich interpretiere das so aus der Bibel. Andere interpretieren das anders. Das müssen wir nebeneinander stehen lassen. Wir müssen beides fördern. Das gehört zu unserem ganzheitlichen Glaubenszeugnis gegenüber dieser Welt.

«Wenn die ganze ‹woke› Gesellschaft in eine bestimmte Richtung geht,
kann es durchaus sein, dass wir einmal einen Gegenakzent setzen.»

Mich fasziniert es auch, dass Menschen nebeneinander unterwegs sein können trotz unterschiedlicher Meinungen. Der eine sagt: «Meine Glaubensüberzeugung ist, dass Homosexualität keine Schöpfungsvariante ist.» Und der andere nebendran sagt: «Du, ich interpretiere die biblischen Aussagen anders. Ich sehe das als Schöpfungsvariante.» Wir wollen, dass beides nebeneinander Platz hat und wir miteinander unterwegs sein können. Hierzu ja zu sagen, so miteinander unterwegs sein, das ist der Grundgedanke des «Szenario Kaleidoskop».

Die Stärke unserer Kirche ist, dass wir uns fokussieren auf das, was Jesus für uns getan hat. Das wollen wir in die Welt hinaustragen – in unserer Unterschiedlichkeit, die wir in ethischen Fragen haben.

S.F.
Beitragsbild: Stefan Schnegg (Foto: S.F., EMK Schweiz)

Weitere Newsmeldungen

Abonnieren Sie hier unseren Newsletter


Jetzt vormerken

Am 27. November ist in der 🔗Evangelisch-methodistischen Kirche in Biel ein Treffen für Personen mit einer traditionellen Sicht geplant. Zwischen 10 bis 16 Uhr sollen drängende Fragen besprochen und nächste Schritte geplant werden. Weitere Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie 🔗auf der Website.

Stefan Schnegg

Verheiratet mit Heidi, stammt ursprünglich aus dem Berner Seeland, lebt heute in Bülach, wo er auch 12 Jahre im Gemeinderat war. Er hat einen kaufmännischen Hintergrund, dann Theologie studiert und sich in Betriebsorganisation weitergebildet. Heute arbeite er im Ausbildungsbereich einer Versicherung. Seit vielen Jahren ist er im Vorstand der Jährlichen Konferenz Schweiz-Frankreich-Nordafrika. Er ist Laienprediger der Methodistenkirche in der Schweiz.