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Bild: Bischof Büchel, Dominic Roser und Pia Hollenstein

«Wir müssen alles tun, was wir können»

23. Mai 2022

Am 20. Mai dis­ku­tier­ten Podiums­gäste und Be­sucher:innen in der Metho­disten­kirche in St. Gal­len Fra­gen der «Klima­gerechtig­keit». Eine zen­trale Grup­pierung fehl­te.

Freitagabend. In der Stadt St. Gallen war viel los. Ein ausgesprochen warmer Abend, zu warm für die Jahreszeit. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der beiden Appenzell und St. Gallen lud zu einem Diskussionsabend in die Methodistenkirche ein: «Klimagerechtigkeit: Einsicht oder Zwang.» Der Anlass fand im Zusammenhang mit einer Reihe weiterer Angebote statt, die die Methodistenkirche in St. Gallen anlässlich 🔗ihres 161-jährigen Jubiläums organisiert hat.

Wie gross ist das Interesse?

Wieviel Personen wohl kommen würden? Methodistenpfarrer Jörg Niederer war unsicher. Die anderen Anlässe zum Jubiläum waren oft schlechter besucht als vergleichbare Veranstaltungen vor zwei oder drei Jahren. Das liege vielleicht auch daran, dass nach dem Ende der Coronabeschränkungen eine hohe Dichte an Veranstaltungen um Aufmerksamkeit buhlt, vermutete er.

Alt-Nationalrätin Pia Hollenstein moderierte das Gespräch. Als Gäste waren der katholische Bischof Markus Büchel, der Sozialethiker und Ökonom Dominic Roser und die Klimaaktivistin Miriam Rizvi geladen. Schlussendlich kamen rund 20 Besucher:innen. Die «Klimajugend» war nicht dabei. Auch nicht in der Gesprächsrunde. Miriam Rizvi kam nicht.

Kaum Kontroverse

«Klimaleugner wären im falschen Film», hielt Pia Hollenstein gleich zu Beginn fest. Der Austausch im Podium und mit dem Publikum war entsprechend von fast schon harmonischer Einigkeit geprägt. Kritische Rückfragen oder kontroverse Einwürfe blieben die Ausnahme – trotz des provokativen Titels der Veranstaltung.

Das Spannungsfeld zwischen «Einsicht und Zwang» tauchte eher zwischen den Zeilen auf. Verschiedene Personen brachten in Voten zum Ausdruck, dass alles viel zu langsam gehe. Mehrmals wurde die Enttäuschung darüber formuliert, dass «noch nicht einmal» das CO2-Gesetz in der Abstimmung eine Mehrheit fand.

Klare Ansagen?

Müsste da nicht die Kirche wenigstens mit gutem Beispiel vorangehen? Was tut die Kirche? Bräuchte es eine klare bischöfliche Weisung? – Bischof Büchel winkte ab: Solche Fragen würden in der katholischen Kirche in den Kirchgemeinden entschieden. Bischöfliche Weisungen seien eher kontraproduktiv und verstärkten den Widerstand.

Und politisch? – Pia Hollenstein verwies auf die 🔗«Klimaklage» der Klimaseniorinnen, zu deren Vorstand sie gehört. Inzwischen liege die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und habe gute Chancen, mindestens in Teilen gutgeheissen zu werden. Das werde Druck auf den Bundesrat ausüben.

Also doch Klimadiktatur? – Dominic Roser differenzierte: Die allen Menschen gewährten Grundrechte seien ein wesentliches Element demokratischer Verfassungen. Diese einzuklagen sei ebenfalls Teil eines demokratischen Prozesses. «Grundrechte gelten auch ohne demokratische Mehrheiten», sagte er.

Lösungsansätze

Einen anderen Ansatz zur Lösung des Spannungsverhältnisses hatte Roser bereits in seinem Eingangsvotum ins Spiel gebracht. Er hatte die Besucher:innen zu einer Gedankenreise eingeladen: «Stellen sie sich vor, sie wachen im Jahr 2100 auf – und die Klimakrise wurde bewältigt. Wie das? Was ist geschehen?»

Rosers Antwort beinhaltete zwei Aspekte: Zum einen hätten reiche Personen und Länder den Ländern des Südens geholfen, die notwendigen Anpassungen zu finanzieren und hätten auch Entschädigungen für die Folgen des Klimawandels gezahlt. Zum anderen seien die notwendigen Technologien inzwischen so günstig, dass auch die Leute sie verwenden, die das nicht aus Überzeugung tun.

Nach Ansicht Rosers müssten auch die politischen Diskussionen eine andere Ausrichtung erhalten. «Wir sollten uns nicht zu sehr auf die Frage nach der Grösse des ökologischen ‹Fussabdrucks› fokussieren», meinte er. Wichtiger sei zu fragen: «Was braucht es?» Antwort: Es brauche neue Technologien. Und dann zu fragen: «Was können wir tun?» – Vielleicht drei neue ETHs ins Leben rufen, die sich in ihrer Forschung ausschliesslich auf solche Fragestellungen konzentrierten.

Die Rolle der Kirche

«Die Herausforderungen des Klimawandels verbinden uns über die Grenzen von Religionen und Konfessionen hinweg», stellte Bischof Markus Büchel fest. Ein neuer Ton kirchlicher Bescheidenheit leuchtete in seinem Votum auf: «Kirche hat den anderen nichts voraus», sagte er, «aber wir verbinden uns mit denen, die sich engagieren.»

Was bringen die Kirchen ein? – Immer wieder verwiesen katholische Teilnehmer:innen auf die 🔗Enzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015. Bewusstmachung, Sensibilisierung, Engagement. – Fragen liesse sich, ob die Enzyklika wirklich auch ausserhalb der (katholischen) Kirche so stark wahrgenommen und rezipiert wird, wie einige Stimmen es meinten.

Einbringen könne die Kirche auch «einen konstruktiven Umgang mit Schuld und Scheitern», meinte Büchel. Alle würden sich in dieser Krise schuldig machen. «Wir müssen uns davon nicht lähmen lassen, sondern können einen Neuanfang wagen».

Überschaubares Ergebnis

Den Ertrag des Abends fasste Pia Hollenstein so zusammen: «Alle Massnahmen nützen. Wir müssen darum alles tun, was wir können, auch wenn wir vieles nicht tun können.» Ein wenig überraschendes Resultat, das vielleicht auch vor den zwei Stunden gemeinsamen Austausches schon zu formulieren möglich gewesen wäre.

Draussen jedenfalls war es inzwischen etwas kühler geworden. In der Stadt pulsierte das Leben – trotz (oder gar: wegen?) der für die Jahreszeit zu warmen Temperaturen.

S.F.
Beitrasgbild: Bischof Markus Büchel bei seinem Eröffnungsvotum am 20. Mai in der Methodistenkirche in St. Gallen. Daneben sitzend: Dominic Roser und Pia Hollenstein.SF, (Bild: EMK Schweiz)

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