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Bild: Sarah Bach gibt ein Votum ab

«Als Delegierte kann ich etwas verändern!»

16. September 2022

Die methodistische Pfarrerin Sarah Bach war als Delegierte an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe. Im Gespräch schaut sie zurück auf intensive Tage.

Nach den Tagen mit Sitzungen, Begegnungen und unzähligen Eindrücken, bist du schon wieder ganz in der Schweiz angekommen?

Da klingt schon noch sehr viel nach. Es ist, wie wenn man viel gegessen hat. Das braucht seine Zeit, bis das dann wieder alles verdaut ist. Und natürlich beschäftigt mich die Vollversammlung auch noch weiterhin: Wie geht das, was in Karlsruhe in einer Art «Blase» geschehen ist, hinaus in die Kirche? Ausserdem gibt auch noch einige Verwaltungsaufgaben zu erledigen…

Von daher habe ich noch nicht 100% das Gefühl, wieder hier zu sein. Doch das kommt langsam, weil der Alltag wieder Aufmerksamkeit einfordert.

Jetzt, da du weisst, worauf du dich eingelassen hast, würdest du wieder als Delegierte an eine Vollversammlung gehen?

Die Antwort auf die Frage hätte sich vermutlich in Karlsruhe von Tag zu Tag verändert…. (lacht) Im Grossen und Ganzen denke ich: Doch, ich würde noch einmal als Delegierte gehen. Einfach, weil ich gemerkt habe: Als Delegierte kann ich etwas verändern. Es ist mühsam. Es braucht manchmal viel Druck, wie zum Beispiel in den beiden Themen 🔗des Klimas und 🔗der Repräsentation der Jugend.

„Es braucht manchmal viel Druck.“

Auch das ganze Prozedere und die Art, wie die Prozesse organisiert sind, finde ich nicht 100% befriedigend. Für mich war es sehr hilfreich, dass wir in der Delegation Leute hatten, die nicht zum ersten Mal dabei waren. Die waren für mich Ansprechpersonen. Ich konnte sie fragen: Wie funktioniert das jetzt genau? Was ist hier der beste Weg, um voranzukommen?

Parlamentarische Prozesse – und dann auch noch mit Leuten au der ganzen Welt – sind ja nicht ganz leicht zu durchschauen.

Als methodistische Delegation haben wir immer wieder darüber gewitzelt, dass uns Jungen der Einstieg in diese Konferenz einfacher fällt als vielen anderen Gleichaltrigen, weil wir alle bereits Konferenzerfahrungen haben.

„Im Moment ist das gesamte System sehr auf Insider ausgelegt.“

Zugleich waren wir auch frustriert, weil wir wussten, dass bestimmte Abläufe sich besser organisieren lassen. Dass zum Beispiel die Berichte 24 Stunden vorher – oder manches Mal gar nicht – hochgeladen wurden. Und dann sollten wir uns, während der Bericht und die Änderungen vorgelesen wurden, eine Meinung dazu bilden. Das erfordert Leute mit schnellem Auffassungsvermögen, die auch gut darin sind, sich kurz und knapp zugleich aber mit Tiefe ausdrücken zu können. Das ist überhaupt kein inklusives System. Im Gegenteil: Im Moment ist das gesamte System sehr auf Insider ausgelegt.

Oder dann, dass nur 90 Minuten jeweils für die Geschäftssitzungen vorgesehen waren. Als methodistische Delegation haben wir darüber gelacht. Nach 90 Minuten sind wir doch grade erst so richtig warm gelaufen! Wir haben da mehr erwartet.

„Nach 90 Minuten Sitzung sind wir doch grade erst so richtig warm gelaufen!“

Hier konnte ich aber auch meine Kontakte über die Delegation nutzen, um solche Anmerkungen einzubringen in das Business Committee: Sie müssen entweder längere Sitzungszeiten einplanen, um einen Konsens genügend Raum zu geben. Oder sie müssen die Berichte vorgängig zur Verfügung stellen. So jedoch, wie es jetzt aktuell gelaufen ist, war das kein befriedigendes Konsensverfahren. Denn der Kern eines Konsenses wäre ja, dass alle Stimmen, die gehört werden wollen, auch gehört werden können.

Du hattest bestimmte 🔗Erwartungen an die Versammlung: Minoritätsstimmen sollten mehr Raum erhalten, Kirche sollte sich auf ihren Auftrag in der Welt konzentrieren, das gemeinsame Auftreten sollte Veränderungsprozesse anstossen. Inwiefern haben sich diese Erwartungen erfüllt?

Im Grossen und Ganzen haben wir diese Erwartungen meiner Meinung nach erfüllen können. Die Minoritätsstimmen haben mehr Raum erhalten als etwa bei vergangenen Vollversammlungen. Vor allem die Minoritätsstimmen der indigenen Bevölkerungsgruppen. Die standen sehr im Zentrum dieses Mal.

Weithin ist das auch eine Versammlung gewesen, die sich auf die Frage konzentriert hat: Was ist unser Auftrag in der Welt? Sogar das letzte Plenum am Mittwoch, bei dem es um Einheit und Identität der Kirche ging. Bischof Heinrich Bedford-Strohm hat das moderiert. In seiner Einleitung sagte er sinngemäss: ‹So, jetzt haben wir ganz viel geredet darüber, wer wir gegen aussen sind. Jetzt lasst uns noch ein wenig darüber sprechen, wer wir nach innen sind.› – Die Leute seines Panels haben dagegen gehalten und gesagt: ‹Wir müssen nicht darüber reden, wer wir nach innen sind. Wir definieren uns darüber, wer wir gegen aussen sind.› Er hätte gerne noch so ein wenig innenpolitischen Talk gemacht. Aber sie haben sich nicht darauf eingelassen…

„Er hätte gerne noch so ein wenig innenpolitischen Talk gemacht.“

Nach dem 🔗harzigen Start am Donnerstag und Freitag haben mich vor allem die Plenumsveranstaltungen am Montag und Dienstag beeindruckt – aber auch die Art und Weise, wie die Berichte nach Rückmeldungen überarbeitet worden sind: Sie sind jetzt sehr intersektional gehalten. Das heisst: Die Krisen können nicht unabhängig voneinander angeschaut werden. Die Gesundheitskrise ist nicht unabhängig von der Klimakrise und nicht unabhängig von der Diskriminierung der Geschlechter und all den vulnerablen Gruppen. Die Menschen die aufgrund des Klimas vulnerabel sind, sind solche, die oft bereits schon wegen Armut oder Bildung oder Geschlecht vulnerabel sind.

„Die Gesundheitskrise ist nicht unabhängig von der Klimakrise und nicht unabhängig von der Diskriminierung der Geschlechter.“

Eine Teilnehmerin an der Jugendvorversammlung hat ein gutes Beispiel dafür erzählt: In ihrer Region gab es einen Anstieg von Fällen, bei denen Personen von wilden Tieren angegriffen wurden. Das hat Verwunderung ausgelöst: Hat sich bei den Tieren irgendetwas verändert? Eine genauere Analyse zeigte: An manchen Orten hatte eine extreme Dürre geherrscht. Leute mussten darum ins nächste Dorf oder zur nächsten Quelle laufen, um Wasser zu holen. Der Brunnen oder die Quelle im eigenen Dorf waren ausgetrocknet. Doch wer steht am Morgen auf und geht Wasser holen? Das waren in diesem traditionellen Setting die Frauen. Die mussten dann oft so früh gehen, dass sie noch im Dunkeln unterwegs waren. Dabei wurden sie von den wilden Tieren angegriffen – und kamen zu Tode, wurden verletzt oder leiden nun an körperlichen Behinderungen.

Das ist etwas, das wir mitnehmen müssen in der Art und Weise, wie wir solche Themen angehen. In den Kirchen müssen wir mehr darüber nachdenken, dass die Krisen intersektional sind, aber auch unsere Lösungen so sein müssen. Es braucht nicht nur praktische Lösungen, sondern auch theologische Aspekte müssen mit einbezogen werden, die Spiritualität muss einbezogen werden.

Was war für dich das Highlight dieser Vollversammlung?

Wenn ich den Bericht anschaue, der jetzt zu den Fragen von Klimaschutz und Klimawandel verabschiedet wurde – und zugleich bedenke, wie der erste Entwurf dazu ausgesehen hat, dann muss ich sagen: Wie sich das entwickelt und verändert hat, das zu erleben, war mein Highlight. Wir konnten den Bericht durch diverse Eingaben massiv stärken.

Hier habe ich auch erlebt: Es bringt wirklich etwas, wenn du Delegierte bist. Denn auf diese Weise konnte ich meine Stimme nutzen, um Änderungsvorschläge zu machen und Formulierungen zu schärfen.

„Wir konnten den Bericht durch diverse Eingaben massiv stärken.“

Und es hat sich gezeigt: Es bringt etwas, sich zu vernetzen, die eigene Stimme anderen zur Verfügung zu stellen. Ich hatte mit der jungen Klimagruppe Kontakt. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht nur einen Klimastreik organisieren und auf diese Weise Aufmerksamkeit erregen, sondern wir müssen uns auch überlegen, wie wir diese Aufmerksamkeit dann sinnvoll nutzen. Das ist uns meines Erachtens gut gelungen.

Was bleibt von dieser Versammlung? Was geht weiter?

Das Wichtigste ist, die Inhalte weiter in unsere methodistische Kirche in der Schweiz hineinzubringen. Das heisst: 🔗Bericht erstatten – in persönlichen Gesprächen oder auch in grösserem Rahmen – in einer Gemeinde oder Region oder bei einer Zentralkonferenz.

Für mich ist auch wichtig: Jetzt haben wir ein gutes Klimadokument – oder auch Berichte zu anderen Fragen. Darin liegt für uns als Mitgliedskirchen auch eine Verpflichtung.

An den Berichten dran zu bleiben, sehe ich als Teil meiner Aufgabe: Was sind die Forderungen, die wir in den nächsten sieben bis acht Jahren sollten erreichen können? Immer wieder auch den Finger auf diese Fragen zu legen: ‹Moment Mal! Als Teil des ÖRK haben wir uns da verpflichtet, dass wir an dieser oder jene Stelle etwas implementieren. Wo stehen wir da aktuell?› Ich hoffe, dass ich genug Durchhaltevermögen habe, um dran zu bleiben.

„Vielleicht übertreffen wir die gesteckten Ziele ja sogar!“

Und vielleicht übertreffen wir die gesteckten Ziele ja sogar! (lacht) Wir haben ja mit unserer Delegation auch die Vorgaben für die Repräsentation der Jugend übertroffen. Das wäre doch was, wenn wir dann auch bei den Klimazielen sagen könnten: ‹Hey, wir haben das sogar übertroffen.› Nicht einfach, weil wir ganz besonders cool sind. Sondern als nordeuropäisches Land haben wir hier einfach auch eine stärkere Verpflichtung.

Was wird dich persönlich weiter begleiten aus dieser Vollversammlung?

Ich nehme sehr viel mit. Dazu gehören viele praktische Dinge: Methoden, Inspiration. Und mein Netzwerk, das ich für diverse Themen nutzen kann, ist grösser geworden. Das ist natürlich mega cool.

Insgesamt hat es mich ermutigt zu sehen, dass andere Kirchen an demselben Punkt dran sind wie wir. Statt uns als Konkurrenz zu sehen, können wir uns in Kernthemen unterstützen. Jetzt habe ich ja erlebt: Das funktioniert! Wir müssen uns einfach auf das konzentrieren, was wichtig ist.

S.F.
Beitragsbild: Sarah Bach spricht während einer Plenarsitzung der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe. (Bild: Paul Jeffrey/WCC

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