Bezirk

Eine Wüstenzeit

26. März 2020

Wisst Ihr noch,

… als wir immer wieder über die Fragen zur Homosexualität sprachen? Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, als man darüber diskutierte, ob «konservativ», «inklusiv» und «progressiv» adäquate Ausdrücke für die verschiedenen Lager der Kirche sind? Mögt Ihr Euch noch daran erinnern, als darüber gestritten wurde, ob die neuen Stühle in den Kirchenraum passen oder ob doch die alten Bänke solider waren? Denkt Ihr noch an früher, als man sich über die Rechtschreibfehler im Gemeindebrief ärgerte oder sich darüber aufregte, wie die Personen des Lobpreis-Teams angezogen sind? – Das alles war damals. Jetzt ist eine andere Zeit. Wir sind existentiell bedroht, sei es gesundheitlich oder wirtschaftlich.

Und die Kirche? Sie ist leer. Alle sind wir am Sonntag zu Hause. Nein, ich denke weniger an die Metapher der Strafbank des Fussballvereins. Eher an eine Wüstenzeit, in der wir soziale Distanz üben und bei uns selbst ankommen müssen.

Schnell komme ich in Versuchung und wünsche mir den Alltag wieder zurück. Ich vermisse es, meine Freunde in die Arme zu schliessen und mit der Gemeinde Gottesdienste zu feiern und Kaffee zu trinken. Doch wenn ich jetzt in dieser Wüstenzeit über alles, was in der Kirche geschah, nachdenke, spüre ich, dass ich mir eben jenen Alltag, der auch sehr viel Schönes hatte, nicht zurückwünsche.

Ich möchte in Zukunft, in der Zeit nach der sozialen Distanz, das Vergangene nicht einfach fortführen, sondern aus dieser existentiellen Bedrohung lernen. Nicht nachtrauern also über die alten Fleischtöpfe, sondern auf das gelobte Land und den Frieden und die Kirche Christi hoffen.

«Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist, weil Leben heisst: sich regen, weil Leben wandern heisst. Seit leuchtend Gottes Bogen am hohen Himmel stand, sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.»
(aus: Gesangbuch der EMK, Nr. 387)

Rolf Wüthrich, Männedorf
Beitragsbild: Sofia Cristina Córdova Valladares, Pixabay.com

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