«Ich dachte immer, die Kirche sei ein Ort, an dem man still sein muss!»

In der methodistischen Kirche in Lausanne entsteht ein buntes und vielfältiges «Dorf». Im «Village mosaïque» wird Kirche in anderer Form gelebt. Zu den Veranwortlichen für das Projekt gehört Erika Stalcup. Sie erzählt von diesem vielfältigen methodistischen Dorf. Für Personen, die das «Village mosaïque» noch nicht oder nicht so gut kennen: Was genau ist das für…

In der methodistischen Kirche in Lausanne entsteht ein buntes und vielfältiges «Dorf». Im «Village mosaïque» wird Kirche in anderer Form gelebt. Zu den Veranwortlichen für das Projekt gehört Erika Stalcup. Sie erzählt von diesem vielfältigen methodistischen Dorf.

Für Personen, die das «Village mosaïque» noch nicht oder nicht so gut kennen: Was genau ist das für ein «Dorf»?

Das «Village mosaïque» ist eine methodistische Kirchgemeinde in Lausanne. Wir sind Teil des Programms «Kirche anders». Strukturell unterscheiden wir uns nicht so sehr von anderen Kirchengemeinden: Wir haben Pfarrpersonen, Gottesdienste – einmal im Monat am Sonntag und zweimal im Monat am Freitag –, eine Frauengruppe, eine Jugendgruppe und einen Gemeindevorstand.

Die multikulturelle Wohngemeinschaft in Lausanne. (Drei Personen fehlen auf dem Bild.) (Foto: zVg, privat)

Teil unserer besonderen Dienste ist eine interreligiöse Wohngemeinschaft, zu der eine Familie mit zwei Kindern, ein Ehepaar und sieben Einzelpersonen gehören. Ausserdem haben wir eine Selbsthilfegruppe für Kindsverlust während Schwangerschaft, Geburt und erster Lebenszeit und bei Unfruchtbarkeit. Wie bieten einen ganzheitlichen spirituellen Einkehrtag an, eine spirituelle Schreibgruppe, eine wöchentliche Online-Gebetsgruppe und wir haben einen multikulturellen Chor.

Was uns am meisten unterscheidet, ist unser Ansatz zur Evangelisation. Die traditionelle Evangelisation konzentrierte sich in der Vergangenheit darauf, Menschen zu bekehren und so zu Nachfolgerinnen und Nachfolgern Jesu zu machen: Der oder die Einzelne trifft auf die Kirche, hört eine Botschaft und soll bestätigen, was die Gemeinschaft denkt und wie sie sich verhält.

«Viele Menschen nehmen die Kirche als einen Ort wahr, an dem über sie geurteilt wird.»

Nach diesem Modell ist eine Person, die von «ausserhalb» der Kirche kommt, von vornherein unzureichend, da ihr das Wissen oder die Überzeugungen fehlen, die nur die Kirche vermitteln kann. Die Aufnahme ist daher an Bedingungen geknüpft: Alle sind hier willkommen, solange sie so denken und sich so verhalten wie wir.

Auch wenn nicht alle Gemeinschaften bewusst so funktionieren, nehmen viele Menschen die Kirche immer noch als einen Ort wahr, an dem über sie geurteilt wird oder an dem sie abgelehnt werden. Viele Menschen mit aufrichtigem Herzen, die sich sehr christusähnlich verhalten, sind von der Institution «Kirche» enttäuscht.

«Wir gehen von einem Zustand der Fülle aus und anerkennen den heiligen Wert jeder Person und ihrer individuellen Gaben.»

Es ist nicht ihr Fehler, dass sie keine kirchliche Gemeinschaft in ihrem Leben haben, sondern eher der Fehler der Kirche, dass solche von Gnade erfüllten und begabten Menschen die kirchliche Gemeinschaft nicht als Ressource zur Befriedigung ihrer geistlichen Bedürfnisse und zur Entwicklung ihrer Gaben wahrnehmen.

Anstatt von einem Zustand der Unzulänglichkeit auszugehen, ziehen wir es vor, von einem Zustand der Fülle auszugehen und den heiligen Wert jeder Person und ihrer individuellen Gaben anzuerkennen: Du bist wertvoll. Du bist hier willkommen. Was können wir gemeinsam tun oder schaffen?

Indem wir durch gemeinsame kreative Aktivitäten authentische Beziehungen entwickeln, öffnen wir den Raum, in dem wir alle Christus ähnlicher werden können.

Die ersten Anfänge sind gemacht und das Projekt ist gut gestartet. Worin bestanden die grössten Hürden und Herausforderungen?

Eines der grössten Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, ist die Frage der «Mitgliedschaft». Wir wollen nicht, dass die Kategorien «Kirchenmitglied» oder «Nichtmitglied» zu einem Statusmerkmal werden. Alle Personen, die teilnehmen, sollen ein echtes Gefühl der Zugehörigkeit erfahren und gleichzeitig die Möglichkeit haben, sich taufen zu lassen und ein bekennendes Mitglied zu werden.

Wie jedoch können auch Menschen, die keine offiziellen Mitglieder sind, als geschätzte Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gemeinschaft gewürdigt werden? Wir haben zudem eine ganze Reihe von Personen, die uns unterstützen, aber nicht in Lausanne wohnen. Wie können sie ihre Solidarität mit uns zum Ausdruck bringen?

Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit zu sehen. Die meisten unserer Aktivitäten finden in kleinen Gruppen von 10 bis 15 Personen statt – auch die Gottesdienste. Die meisten Leute kennen die Gemeinschaft nur durch ihre Erfahrungen in einer oder zwei dieser Gruppen.

«Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass der Gottesdienst die zentrale Veranstaltung ist, an der alle teilnehmen.»

Viele Personen, die neu kommen, gehen davon aus, dass es eine grosse Gruppe von Leuten gibt, die sich alle untereinander kennen – und nur sie kennen fast niemanden. Das ist jedoch bei weitem nicht der Fall. Wir müssen uns bei jedem Treffen gegenseitig vorstellen und gelegentlich grosse Treffen planen, zu denen die meisten Teilnehmerinnen oder Teilnehmer kommen. Doch können wir nicht mehr davon ausgehen, dass der Gottesdienst die zentrale Veranstaltung ist, an der alle teilnehmen.

Das bringt definitiv eine steile Lernkurve für diejenigen von uns mit sich, die es gewohnt sind, dass sich das Gemeindeleben um einen formellen Gottesdienst dreht. Das gilt auch für uns im pastoralen Team.

Welche Erfahrungen waren ermutigend?

Ermutigenden Erfahrungen haben wir sehr viele erlebt. Ich nenne nur einige Beispiele:

Im Juni hatten wir unsere Einweihungsfeier und ein Konzert mit etwa hundert Besucherinnen und Besuchern. Der häufigste Kommentar der Anwesenden war: «Ich fühle mich hier wirklich zu Hause».

«Ich weiss, dass ich hier nicht in eine Schublade gesteckt werde.»

Zu den Mitgliedern unserer internationalen Gemeinschaft haben wir Beziehungen aufgebaut, die alle auf unterschiedliche Weise zum Aufbau der Kirche beitragen: musikalische und gottesdienstliche Beiträge, Weitergabe von Neuigkeiten über unsere Aktivitäten, Einladung von Freunden oder einfach nur Teilnahme und Anwesenheit.

Die erste Person, die sich bei uns taufen liess, sagte zeugnishaft: «Ich weiss, dass ich hier nicht in eine Schublade gesteckt werde.»

Die Freundin meiner sechsjährigen Tochter, die an unserer Einweihungsfeier im Juni teilnahm, sagte begeistert: «Ich dachte immer, die Kirche sei ein Ort, an dem man still sein muss!»

Die zutiefst spirituellen Fragen, die von Frauen in der Selbsthilfegruppe für Kindsverlust während Schwangerschaft, Geburt und erster Lebenszeit und bei Unfruchtbarkeit gestellt wurden: Wo ist Gott in all dem? Wie kann ich hoffnungsvoll bleiben? Wie kann ich ein Leben ehren, das nie geboren wurde?

Wie hat das «Village mosaïque» Dich und Deine pastorale Arbeit verändert?

In meiner Arbeit mit immer mehr Menschen, die mit dem Christentum – oder dem Protestantismus oder dem Methodismus – nicht vertraut sind, werde ich ständig herausgefordert, meine Rolle als Pfarrerin zu klären, zu erklären, wie ich die Arbeit der Kirche verstehe, auszudrücken, wer Jesus für mich ist, über meine persönlichen geistlichen Gewohnheiten zu sprechen, usw.

«Es ist ermutigend zu erleben, dass unsere Weise, Kirche zu sein, als sinnvoll wahrgenommen wird.»

Innerhalb kurzer Zeit haben mir vier Personen genau dieselbe Frage gestellt: «Wie meditieren Sie?» Und jede Person meinte etwas anderes mit dem Wort «meditieren»!

Wenn ich mit Menschen spreche, die bisher wenig oder negative Erfahrungen mit dem Christentum gemacht haben, bin ich mir sehr bewusst, dass meine Wortwahl besonders wichtig ist. Ich trage jetzt noch mehr die Last, die Kirche zu vertreten, und es ist ein Vorrecht, mit diesen Fragen und dieser Neugierde betraut zu werden. Es ist ermutigend zu erleben, dass unsere Weise, Kirche zu sein, als sinnvoll wahrgenommen wird.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Unsere nächsten Schritte sind sehr pragmatisch, nämlich die Auseinandersetzung mit der Frage der Mitgliedschaft und Zugehörigkeit, aber auch die Konkretisierung einer langfristigen Finanzstrategie.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir wahrscheinlich niemals allein von den Spenden überleben werden und darum andere Wege der finanziellen Unterstützung notwendig sind. Externe Hilfsquellen zu erschliessen und weiter eine Kultur der Solidarität zu pflegen, stehen ganz oben auf unserer To-do-Liste.

Was das Gemeinschaftsleben betrifft, so werden wir weiterhin das Führungspotenzial unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer ermitteln. Ermutigung und Zurüstung sind im Moment die Hauptschwerpunkte.

S.F.
Beitragsbild: Der multikulturelle Chor des «Village mosaïque». Links am Klavier Erika Stalcup. (Foto: zVg, privat)

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