Weltgebetstag im Spannungsfeld des Nahost-Konflikts

Unter dem Motto «… durch das Band des Friedens» wird am 1. März 2024 weltweit der Weltgebetstag stattfinden. Die durch palästinensische Christinnen gestaltete Liturgie löst intensive Diskussionen aus – verschärft durch die jüngsten Ereignisse. Der Rat der EKS ermutigt zur Durchführung der Anlässe.

Die Liturgie für den Weltgebetstag am 1. März 2024 wurde von palästinensischen Frauen verfasst. Wie in früheren Jahre nimmt auch die Liturgie für 2024 die Sicht und Erfahrungen derjenigen Frauen auf, die für die Gestaltung der Liturgie verantwortlich sind. Dass das palästinensische Komitee die Liturgie für 2024 erarbeiten sollte, war 2017 beschlossen worden. 1994 war die Liturgie des Weltgebetstags schon einmal von dort gekommen.

Schon früh Vorbehalte

Bereits vor dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 gab es Vorbehalte gegen die Liturgie. Die Verantwortlichen seien sich «bewusst, dass eine Liturgie von christlichen palästinensischen Frauen und die damit einhergehende intensive Beschäftigung mit ihrer gesamten Lebenssituation eine Herausforderung darstellt«, heisst es 🔗in einer Erklärung des schweizerischen Weltgebetstags-Komitees vom April 2023.

Kritikpunkte

Für Diskussionen sorgte unter anderem das Titelbild der in Deutschland geborenen und inzwischen dort wieder lebenden palästinensischen Künstlerin Halima Aziz, der eine Nähe zur Hamas vorgeworfen wird. Das in ihrem Bild auftauchende Motiv des Schlüssels symbolisiert das Rückkehrrecht der Palästinenser:innen und kann als kodierte Forderung nach einer Vernichtung Israels verstanden werden.

Ebenfalls Kritik gab es an der Handala-Figur des palästinensischen Künstlers 🔗Naji Salim al-Ali, die vom Künstler öfters mit einem Aufruf zur Gewalt gegen Israel und antisemitischen Klischees 🔗verbunden wird. – Die Abbildungen und Ausführungen 🔗auf der Website des schweizerischen Komitees zeigen diese Aspekte des Motivs nicht. Auch an Formulierungen der Liturgie machte sich die Kritik fest.

Komitee mahnt zur Vorsicht

Die Liturgie wurde lange vor dem Terrorangriff der Hamas formuliert. Dennoch verschärften sich die Diskussionen in diesem Kontext noch einmal. «Diese spezielle Situation fordert uns alle auf, achtsam miteinander und auch mit Texten und Veranstaltungen umzugehen», schreibt das Weltgebetstagskomtee der Schweiz 🔗Anfang November und empfiehlt, «öffentliche Veranstaltungen zum Thema des nächsten Weltgebetstages mit Vorsicht zu organisieren. Am besten mit Voranmeldungen, damit ihr alle Teilnehmenden aufgelistet habt. Je nach Veranstaltung lohnt es sich, Sicherheitsmassnahmen vorzubereiten.»

Anpassungen an der Liturgie

Die Verantwortlichen im deutschsprachigen Raum zogen Konsequenzen aus der Kritik: In Deutschland und Österreich verzichten die Komitees auf die Verwendung des vom 🔗Internationalen Komitee vorgeschlagenen Bildes der Künstlerin Halima Aziz. Das Komitee in Deutschland wird ausserdem 🔗im Januar eine überarbeitete Fassung der Liturgie zur Verfügung stellen. Dabei solle die ursprüngliche Ordnung «so weit wie möglich erhalten bleiben ‹um die Stimmen der palästinensischen Schwestern zu Gehör zu bringen›.» Lieder und Fürbitten würden bearbeitet und ergänzt. Die drei in der Liturgie eingearbeiteten Erfahrungsberichte palästinensischer Christinnen würden kontextualisiert.

Anders gehen die Verantwortlichen in Österreich und der Schweiz vor, die entschieden haben, die Liturgie nicht zurückzuziehen. Anpassungen an der und Ergänzungen zur Liturgie wird es auch hier geben. 🔗Laut einer Mitteilung auf der Website werden diese Änderungen durch das paläsinensische Komitee selbst vorgenommen. Auf der Website hat «Weltgebetstag Schweiz» zudem eine 🔗«Erklärung zur Situation im Heiligen Land» des palästinensischen Komitees aufgeschaltet.

Ein blinder Fleck?
Die Diskussionen um die Liturgie des Weltgebetstags erwachsen nicht nur aus einer – zurecht – hohen Sensibilität der christlichen Kirchen für die vielen Spielarten des Antisemitismus. Sie machen auch einen «blinden Fleck» in der Wahrnehmung der Situation im Nahen Osten erkennbar: «Denn das palästinensische Volk besteht nicht nur aus Muslimen. Es gibt viele arabische Christen Oft fehlen sie vollständig in unserem Bild», schrieb der Theologe Norbert Lohfink bereits 1997 🔗in einem Aufsatz.
Der Anteil dieser arabischen Christ:innen an der Gesamtbevölkerung ist seit Jahren rückläufig. Sowohl in den israelischen als auch in den palästinensischen Gebieten sind jeweils knapp 2% der Bevölkerung palästinensische Christ:innen. (🔗Quelle) «Als eine kleine Gemeinschaft, in der wir als Minderheit in einem Land leben, wo gerade alles hoffnungslos scheint, sind Sie unsere Hoffnung! Durch unser gemeinsames Christsein, unseren Glauben, der uns verbindet», sagte Pfarrerin Sally Azar 🔗in ihrer Predigt im November. «Da wissen wir, dass wir nicht allein sind, dass wir gemeinsam beten, für- und miteinander.»

Handreichung der EKS

Der Rat der EKS ermutigt 🔗in einer Medienmitteilung vom 12. Dezember zur Durchführung der Anlässe zum Weltgebetstag. «Das gemeinsame Gebet steht über der Unversöhnlichkeit in der Welt», schreibt der Rat. In einer mit der Medienmitteilung veröffentlichten 🔗Handreichung gibt der Rat der EKS einige Empfehlungen zum Umgang mit der Liturgie und Vorschläge für eine leichte Anpassung der Fürbitten. Das Schweizer Komitee des Weltgebetstags scheint solche Vorschläge 🔗kritisch zu beurteilen. «Die Verfasserinnen der Liturgie (…) verdienen es, als Autorinnen die Chance für Anpassungen zu bekommen.»

Gemeinsam beten – gerade jetzt

Einigkeit besteht indes darüber, dass die Anlässe durchgeführt werden sollen. «Wann, wenn nicht jetzt sollten christliche Frauen aller Konfessionen sich weltweit zu Friedensgebeten versammeln, wann wenn nicht jetzt» fragt die katholische Vorstandsvorsitzende des Weltgebetstags in Deutschland, Ulrike Göken-Huismann, 🔗in einer Stellungnahme. Die Verantwortlichen betonen 🔗in einem Beitrag mit «10 Fragen an den Weltgebetstag», dass die Inhalte der Gottesdienstliturgie durch die schrecklichen Ereignisse nicht unwahr oder unzutreffend geworden seien. Es sei «wichtiger denn je, den Gottesdienst zu begehen und auf die Stimmen der christlichen Palästinenserinnen zu hören. Zurzeit werden sie angesichts der wichtigen Solidaritätsbezeugungen für Israel und der entschiedenen Distanzierung vom Terror der Hamas vergessen – aber sie sind nicht identisch mit der Hamas.»

Hören ohne zu urteilen

Der Weltgebetstag 2024 mit seinem plötzlich so aktuellen Motto «… durch das Band des Friedens» wird für die, die vorbereiten, und jene, die teilnehmen, zu einer Herausforderung. «Als christliche Frauen unterschiedlicher Herkunft, Generationen und Konfessionen wollen wir aufeinander hören, aber nicht Urteile fällen oder Partei ergreifen», 🔗schreiben die Verantwortlichen in der Schweiz. Es wird sich zeigen, ob sich erfüllt, was die palästinensische Pfarrerin Sally Azar 🔗in einer Predigt im November als Wunsch formulierte: «Möge unser Zeugnis der Liebe und Einigkeit inmitten von Schwierigkeiten ein Licht sein, das die Dunkelheit durchdringt.»

S.F. / Quellen sind im Beitrag verlinkt
Beitragsbild: Symbolbild (Foto: Chris Hearn, Unsplash)

Kirchliche Stellungnahmen und Dokumente zum Nahostkonflikt

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