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Bild: David und Emily Hansen mit Roksolana

«Wir haben grosses Glück, dass sie zu uns gekommen ist»

27. April 2022

Emily und David Hansen wohnen in Zürich. Seit Mitte März beherbergen sie eine Frau und ihren Sohn aus der Ukraine bei sich. «Wir wollten Leuten helfen», sagt Emily Hansen.

Helfen wollten die beiden nicht nur, sondern sie haben das auch getan. Ganz unbürokratisch. «Mein Mann hat sich erkundigt, wie man zu Gästen kommt», sagt sie. Auf einer Website habe er sich registriert. «Dort konnte man sich anmelden und sagen, dass man Platz hat.» Und Leute, die eine Unterkunft suchten, konnten sich so bei ihnen melden.

Kritische Fragen

Schon nach einer Stunde meldete sich Roksolana. Die war zu der Zeit bereits in der Schweiz. «Mein Mann und sie haben hin und her gemailt», erzählt Emily Hansen. Ihr Mann sei misstrauisch gewesen. Um nicht einem Betrug aufzusitzen, habe er viele kritische Fragen gestellt, um Gewissheit zu erhalten. «Mein Mann konnte nachvollziehen, wo sie arbeitet, wo sie gewohnt hat. Er sah ihr Facebook-Profil.» Da hätten sie ihr zugesagt und sie und ihren Sohn bei sich aufgenommen.

Kontakte nach Zürich

Die urkainische Frau hat Pädagogik und Psychologie studiert. Englisch hat sie bereits in der Schule gelernt und an der Universität vertieft. «Sie ist gut vernetzt. Sie hat eine WhatsApp-Gruppe mit Leuten von überall in der Welt – auch in Russland und natürlich in der Ukraine.» Eine der Frauen in der WhatsApp-Gruppe wohne in Zürich. Auch darum habe Roksolana hierher gewollt.

Grosses Glück

Ob sie sich im Vorfeld Gedanken darüber gemacht habe, was für Leute da kommen und was für Probleme die allenfalls mit sich bringen, will ich von Emily Hansen wissen. «Nein», sagt sie. Und ergänzt nachdenklich: «Wenn ich zu viel darüber nachgedacht hätte, wären mir vielleicht schlimme Szenarien in den Sinn gekommen. Wir haben wirklich grosses Glück, dass sie zu uns gekommen ist.» Manches Mal fragt sie sich, wie es wohl gewesen wäre, wenn jemand anderes gekommen wäre: Leute, die stärker traumatisiert sind. Oder die nicht Englisch oder Deutsch können.

Sofort geflohen

Dass Roksolana Mitte März bereits in der Schweiz war, hat einen Grund auch darin, dass sie bei Kriegsbeginn das Land sofort verlassen habe. «Sie hat einfach gesagt: ‹Das kann ich nicht. Und für meinen Sohn: Das will ich nicht. Ich will nicht, dass er traumatisiert wird.›» Also ist sie weg. Zuerst in ein nahegelegenes Dorf. Dann Richtung Europa. Budapest. Basel. Thayngen. Jetzt in Zürich.

Wenig Gepäck

Mitgenommen habe sie fast nichts. «Das Wichtigste für ihren Sohn hat sie mitgenommen.» Medikamente zum Beispiel. «Aber für sich selbst hat sie vieles zurückgelassen.» Ihre Brillen. Medikamente, die sie braucht. «Sie hat ihren Laptop – und ich weiss nicht: nur diese beiden Rucksäcke.»

Ungewisse Zukunft

Emily Hansen hat den Eindruck, dass Roksolana erst nach und nach die ganze Tragweite der Entscheidung realisiert. «Jetzt hat sie mir gesagt: ‹Ich weiss nicht, ob ich überhaupt je zurück kann.›» Aber sie reisse sich zusammen. Für ihren Sohn. «Es wird schon gut» habe ihr Roksolana immer wieder gesagt: «It will be okay.» – «Sie sagt das zu mir. Ich traue mich nicht, ihr das zu sagen.»

Wohnungssuche

«Sie ist selbstbewusst und will uns nicht zur Last fallen.» Im Haus helfe sie sehr viel. «Fast zuviel», sagt Emily Hansen und lacht. «Sie möchte nicht, dass wir denken, sie nutze uns aus.» So schnell wie möglich möchte sie ihr eigenes Zimmer oder eine eigene Wohnung haben. Das allerdings ist in Zürich nicht ganz so einfach…

Bei Hansens wohnt sie mit ihrem Sohn unter dem Dach. «Dort haben wir vor einigen Jahren renoviert und dabei die Fenster gross gemacht.» Der Raum sei gross und hell, so dass die beiden genügend Platz haben. Und im Haus habe es zwei Badezimmer.

Schritte zur Normailtät

Roskolana habe inzwischen die Bestätigung erhalten, dass sie den Schutzstatus S erhalte. Aber die offiziellen Papiere seien noch nicht eingetroffen. «Darauf zu warten, ist schwierig. Das sehe ich bei ihr.» Mehrmals sei sie darum bereits zur Kasernenstrasse gegangen, wo der Kanton Zürich eine Empfangsstelle eingerichtet hat. Seit Anfang April gehe ihr Sohn in die Schule. «Und auch sie hat die Möglichkeit zu arbeiten.»

Wie lange ihre Gäste noch bei ihnen wohnen? «Das weiss ich auch noch nicht. Wir schauen, wie es geht. Wir werden sie nicht raus schmeissen!»

S.F.
Beitragsbild: David und Emily Hansen mit Roksolana (v.r.) (Bild: privat)

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